Rz. 119
Nach der EuErbVO bezieht sich die Rechtswahl auf das gesamte Vermögen des Erblassers (keine gegenständliche Nachlassspaltung) und auf sämtliche Fragen der Erbfolge (keine funktionelle Nachlassspaltung). Eine Teilrechtswahl (depeçage) ist grundsätzlich unzulässig. Einzige Ausnahme in diesem Zusammenhang ist die Abspaltung des Errichtungsstatuts für Testamente und Erbverträge in Art. 24, 25 EuErbVO. Die depeçage für das Errichtungsstatut war vor der EuErbVO einzelnen Rechtsordnungen bekannt (Art. 26 Abs. 5 EGBGB, § 30 öst. IPRG, Art. 9.8 span. CC, Art. 95 schw. IPRG), stellt aber für die meisten Mitgliedstaaten eine Neuheit dar. Art. 26 EuErbVO erleichtert den Rechtsanwendern in diesen Ländern das Verständnis, indem hier der Umfang des Errichtungsstatuts veranschaulicht wird.
Rz. 120
Die Rechtswahl nach Art. 22 EuErbVO wirkt sich auch auf das Errichtungsstatut aus. Wegen der Fixierung auf den Zeitpunkt der Errichtung des Testaments bzw. des Erbvertrages in Art. 24, 25 EuErbVO wird freilich die Rechtswahl hinsichtlich der Ermittlung des Errichtungsstatuts nur dann berücksichtigt, wenn sie schon vor Errichtung der Verfügung oder aber in der betroffenen Verfügung selbst getroffen wurde. In diesem Fall ist die Geltung des gewählten Rechts für das Errichtungsstatut zwingend. Der Erblasser kann nach Wahl des Heimatrechts für die Erbfolge die Wirksamkeit der Verfügung also nicht abspalten und dem an seinem gewöhnlichen Aufenthalt geltenden Recht unterstellen.
Rz. 121
Daneben kann aber eine auf das Errichtungsstatut funktionell beschränkte Wahl des Heimatrechts erfolgen, Art. 24 Abs. 2, Art. 25 Abs. 3 EuErbVO. Vertragsmäßige Verfügungen können in einem mehrseitig verfügenden Erbvertrag sogar dem Recht eines Staates unterstellt werden, dem ausschließlich eine der Vertragsparteien angehört, zu dem also die anderen Verfügenden keine Verbindung besitzen. Die Errichtung unterliegt dann dem gewählten Heimatrecht, die Erbfolge im Übrigen dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts.
Rz. 122
Daraus ergeben sich interessante Gestaltungsmöglichkeiten:
Rz. 123
Beispiel: Eine deutsche Ehefrau lebt mit einem niederländischen Ehemann in Amsterdam. Die beiden möchten sich gerne gegenseitig bindend zu Erben einsetzen und die Kinder des Ehemannes aus erster Ehe möglichst weit außen vor halten. Das niederländische Recht kennt keinen Erbvertrag, sieht aber vor, dass der überlebende Ehegatte den gesamten Nachlass übernehmen kann und die Kinder des Erblassers erst nach dessen Tod zum Zuge kommen. Das deutsche Recht kennt den Erbvertrag, gewährt den Kindern aber sofort fällige Pflichtteilsansprüche. Keine der beiden Rechtsordnungen gewährt den Eheleuten also beide Wünsche.
Lösung: Die Eheleute vereinbaren die Geltung des deutschen Heimatrechts der Ehefrau gem. Art. 25 Abs. 3 EuErbVO ausschließlich für die Wirksamkeit und Bindungswirkung des Erbvertrages und belassen es für die Erbfolge im Übrigen, also die Wirkungen des Erbvertrages einschließlich der Pflichtteile der Kinder, bei dem gem. Art. 21 EuErbVO anwendbaren niederländischen Recht.
Rz. 124
Abwandlung 1: Leben die Eheleute in Deutschland, so muss der Ehemann für die Erbfolge gem. Art. 22 EuErbVO sein niederländisches Recht und für die Wirksamkeit des Erbvertrages gem. Art. 25 Abs. 3 EuErbVO das deutsche Recht wählen.
Rz. 125
Abwandlung 2: Verfügen niederländische Eheleute mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland erbvertraglich und wählt der Ehemann in derselben Urkunde für die Erbfolge das niederländische Heimatrecht, so dürfte der Erbvertrag wegen der Geltung des niederländischen Rechts auf seiner Seite gem. Art. 25 Abs. 2 EuErbVO – da die nach Art. 22 EuErbVO getroffene Rechtswahl gem. Art. 25 Abs. 1 EuErbVO auch das Errichtungsstatut erfasst – aufgrund der Vereinbarung des niederländischen Rechts insgesamt nichtig sein. Er könnte die Rechtswahl aber nach Abschluss des Erbvertrages in einer zeitlich späteren Verfügung vornehmen. Das auf die Wirksamkeit des Erbvertrages anwendbare Recht wird durch die zeitliche Fixierung auf seinen Abschluss durch die spätere Rechtswahl nicht mehr tangiert. Insoweit stellt sich allenfalls die Frage, ob die Rechtswahl unwirksam ist, weil sie die Rechte des Vertragspartners beschränkt. Das dürfte in der vorgestellten Konstellation aber wohl nicht der Fall sein.