Rz. 126
Beispiel:
Ein koreanischer Staatsangehöriger arbeitet als Ingenieur bei einem Industrieunternehmen in München. Derzeit hat er Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Er möchte gerne ein Testament errichten, mit dem er seine zweite Ehefrau zur Alleinerbin einsetzt und die gemeinsamen Kinder zu Schlussberechtigten bestimmt. Beider Kinder aus erster Ehe sollen weitestmöglich ausgeschlossen werden. Der beurkundende Notar weist darauf hin, dass nach aktuellen Umständen deutsches Recht gelte, welches hier die Vor- und Nacherbfolge zur Verfügung stelle. Würde aber der Erblasser vor seinem Tode nach Korea zurückkehren, so entfiele die Anwendbarkeit deutschen Rechts. Es käme koreanisches ZGB zur Anwendung, wonach die Nacherbfolge nicht möglich sei.
Rz. 127
Die Einführung einer kollisionsrechtlichen Rechtswahl liegt auch im Erbrecht im Trend. Dabei stellt die enge Beschränkung auf die Wahl des Heimatrechts, wie sie in Art. 22 EuErbVO enthalten ist, wiederum die Ausnahme dar. In vielen Rechtsordnungen lässt sich durch Rechtswahl auch die Geltung des aktuellen Aufenthaltsrechts fixieren. So bestimmt z.B. Art. 77 Abs. 1 des koreanischen IPR vom 4.1.2022, dass die Erbfolge dem Heimatrecht des Erblassers unterliegt. Dieser kann aber in testamentarischer Form das Recht des Staates wählen, in dem er zum Zeitpunkt der Ausübung der Rechtswahl seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Rz. 128
Im Beispielsfall würde die materielle Wirksamkeit des in München beurkundeten Testaments dem aktuellen Aufenthaltsrecht unterliegen, Art. 24 Abs. 1 EuErbVO (Errichtungsstatut). Dagegen käme für die Erbfolge, insbesondere auch die Wirkungen des Testaments, gem. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO das Recht des Staates zur Anwendung, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt haben wird. Bei Rückkehr nach Korea wäre das das koreanische Recht, welches keine Nacherbfolge kennt.
Rz. 129
Vorrangig vor den Regeln des ausländischen materiellen Rechts sind die Regeln des koreanischen IPR anzuwenden. Gemäß Art. 34 Abs. 1 lit. a EuErbVO wäre eine Rückverweisung auf das deutsche Recht zu beachten. Dabei kann sich eine Rückverweisung nicht allein aus den Regeln über die objektive Anknüpfung des Erbstatuts im ausländischen IPR ergeben. In gleicher Weise wäre auch ein Renvoi zu befolgen, der sich daraus ergibt, dass das ausländische IPR über die EuErbVO hinausgehend Rechtswahlmöglichkeiten anerkennt. Damit würde sich für das Vermögen des koreanischen Testators eine Verweisung auf das gewählte Recht am gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments – also das deutsche Recht – ergeben.
Rz. 130
Beachte aber in diesem Zusammenhang, dass sich diese Rechtswahlmöglichkeiten ausschließlich aus dem gem. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO objektiv bestimmten Recht ergeben können. Beruht die Verweisung auf das ausländische Erbrecht auf einer "engeren Verbindung" i.S.v. Art. 21 Abs. 2 EuErbVO oder einer Rechtswahl gem. Art. 22 EuErbVO, so bleibt das ausländische (rechtswahlfreundliche) IPR gem. Art. 34 Abs. 2 EuErbVO unberücksichtigt.