I. Grundsatzentscheidung der EuErbVO
Rz. 205
Eine erhebliche Anzahl von Mitgliedstaaten der EU sind durch internationale Abkommen mit Drittstaaten auf dem Gebiet des internationalen Erbrechts völkerrechtlich gebunden. So haben beispielsweise Italien und Griechenland mit der Schweiz die Anwendung des Heimatrechts für ihre Staatsangehörigen vereinbart. Zahlreiche Abkommen bestehen auch zwischen Österreich und den ehemals jugoslawischen Nachfolgestaaten. Der europäische Gesetzgeber hat auf diese Bindung Rücksicht genommen. Um eine Kollision der europarechtlichen Verpflichtung dieser Staaten aus der EuErbVO mit der völkerrechtlichen Verpflichtung zur Einhaltung der völkerrechtlichen Abkommen zu vermeiden, bestimmt Art. 75 Abs. 1 EuErbVO, dass die Abkommen mit Drittstaaten grundsätzlich bestehen bleiben und Vorrang vor den Regelungen der EuErbVO erhalten. In der deutschen Literatur wird das Konkurrenzverhältnis zwischen den Abkommen, die nur einzelne Staaten binden, und der EuErbVO, die Rechtseinheit in den Mitgliedstaaten herbeiführen soll, teilweise kritisch gesehen und teilweise gefordert, dass die betroffenen Mitgliedstaaten die Abkommen kündigen. Das ist aber zum einen sehr beschwerlich. Die Vorschriften zum internationalen Erbrecht sind in umfassende Vertragswerke eingegliedert, die die Bundesregierung schwerlich komplett kündigen kann. Eine Neuverhandlung ist wegen der schwierigen politischen Situation (Türkei, Russische Föderation, Iran) und der fehlenden nationalen Legislativkompetenz unrealistisch. Zum anderen hat der EUGH in einer Entscheidung zu einem Polnisch-Ukrainischen Vertrag die Wirksamkeit und den Vorrang der bilateralen Vereinbarung vor der EuErbVO ausdrücklich bestätigt.
Rz. 206
Das gilt zunächst für das Haager Übereinkommen über die Form letztwilliger Verfügungen vom 5.10.1961, dessen Anwendungsvorrang Art. 75 Abs. 1 UAbs. 2 EuErbVO ausdrücklich anerkennt. Das gilt aber nach bislang unbestrittener Ansicht auch für die bilateralen Abkommen, die Rechtsanwendungsregeln in Bezug auf das Erbrecht enthalten.
Rz. 207
Bei Abkommen zwischen zwei Mitgliedstaaten hingegen werden sämtliche Abkommensparteien durch die EuErbVO gebunden, so dass diese komplett durch die EuErbVO ersetzt werden können, Art. 75 Abs. 2 EuErbVO. Dies betrifft z.B. die bilateralen Abkommen der Bundesrepublik Österreich mit Ungarn sowie der Bundesrepublik Österreich mit Slowenien und Kroatien. Gleiches gilt für die aus der Zeit des Ostblocks stammenden bilateralen Abkommen der osteuropäischen Staaten untereinander, soweit diese der EU beigetreten sind.
Rz. 208
Auf dem Bereich des internationalen Erbrechts haben die Bundesrepublik Deutschland bzw. das Deutsche Reich bis auf das Haager Testamentsformabkommen vom 5.10.1961 keine multilateralen internationalen Übereinkommen abgeschlossen. Wohl aber gelten drei bilaterale Abkommen, die (in zeitlicher Reihenfolge) mit dem damaligen Kaiserreich Persien, der Türkischen Republik und der damaligen Sowjetunion abgeschlossen wurden.
II. Die für Deutschland geltenden Abkommen
Rz. 209
Die für die Bundesrepublik Deutschland aktuell geltenden Abkommen (in chronologischer Reihenfolge ihres Abschlusses) treffen zur Bestimmung des auf die Erbfolge anwendbaren Rechts folgende von den Bestimmungen der EuErbVO abweichende Regelungen:
1. Das Deutsch-Persische Niederlassungsabkommen
Rz. 210
Art. 8 des Niederlassungsabkommens zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien (Deutsch-Persisches Niederlassungsabkommen) vom 17.2.1929 lautet wie folgt:
Zitat
Art. 8
(1) Die Angehörigen jedes vertragsschließenden Staates genießen im Gebiet des anderen Staates in allem, was den gerichtlichen und behördlichen Schutz ihrer Personen und Güter angeht, die gleiche Behandlung wie Inländer.
(2) Sie haben insbesondere freien und völlig ungehinderten Zutritt zu den Gerichten und können vor Gericht unter den gleichen Bedingungen wie Inländer auftreten. Jedoch werden bis zum Abschluß eines besonderen Abkommens die Voraussetzungen für das Armenrecht und die Sicherheitsleistung für Prozeßkosten durch die örtliche Gesetzgebung geregelt.
(3) In Bezug auf das Personen-, Familien- und Erbrecht bleiben die Angehörigen jedes der vertragsschließenden Staaten im Gebiet des anderen Staates jedoch den Vorschriften ihrer heimischen Gesetze unterworfen. Die Anwendung dieser Gesetze kann von dem anderen vertragsschließenden Staat nur ausnahmsweise und nur insoweit ausgeschlossen werden, als ein solcher Ausschluß allgemein gegenüber jedem anderen Staat erfolgt.
Rz. 211
Das Schlussprotokoll enthält zu Art. 8 Abs. 3 des Abkommens folgende Erläuterung:
Zitat
Die vertragsschließenden Staaten sind sich darüber einig, daß das Personen-, Familien- und Erbrecht, das ...