Rz. 48

 

Beispiel 1

Der Erblasser war Deutscher. Er lebte die letzten zehn Jahre seines Lebens mit seiner Lebensgefährtin in Sarajevo, wo er einen Kfz-Import betrieb. Testamentarisch hatte er seine Lebensgefährtin zur Alleinerbin eingesetzt. Die in Schleswig lebenden Eltern des Erblassers erheben gegen die Lebensgefährtin Stufenklage auf Auszahlung des halben Nachlasswertes als Pflichtteil. Die Lebensgefährtin beantragt, die Klage abzuweisen. Gemäß Art. 22 Abs. 1 EuErbVO gelte bosnisches Erbrecht. Dieses kenne einen Zahlungsanspruch für Eltern ausschließlich dann, wenn diese bedürftig seien.[43]

 

Rz. 49

Nach Verweisung auf ein ausländisches Recht stellt sich die Frage, ob hier nun unmittelbar das ausländische materielle Erbrecht (Sachrecht) anzuwenden ist (sog. Sachnormverweisung) oder ob die Verweisung auf das ausländische Recht das gesamte ausländische materielle Recht, als auch das ausländische internationale Privatrecht, erfasst (sog. Gesamtverweisung). Siehe dazu den Beispielsfall in § 1 Rdn 62 ff.

 

Rz. 50

Die EuErbVO vereinheitlicht das Erbkollisionsrecht in den Mitgliedstaaten. Daher ist nunmehr die Möglichkeit von Rück- und Weiterverweisungen zwischen den Mitgliedstaaten und damit in den praktisch häufigsten Fällen mit Auslandsberührung die Möglichkeit eines Renvoi ausgeschlossen. Zu Rück- und Weiterverweisungen kann es mithin nunmehr ausschließlich nach Verweisung auf das Recht eines Staates kommen, der nicht zur EU gehört, bzw. im Verhältnis zu den beiden EU-Staaten Dänemark und Irland, in denen die EuErbVO nicht in Kraft ist.

 

Rz. 51

Der Kommissionsvorschlag zur EuErbVO vom November 2009 hatte noch vorgesehen, dass Rück- und Weiterverweisungen des ausländischen IPR unberücksichtigt bleiben. Nach vielfältiger Kritik aus dem Schrifttum ist diese Regelung aber wieder zurückgenommen worden. Art. 34 Abs. 1 EuErbVO bestimmt daher nun, dass nach Verweisung auf das Recht eines Drittstaates die in diesem Staat geltenden Rechtsvorschriften einschließlich derjenigen seines Internationalen Privatrechts anzuwenden sind, soweit diese auf das eigene Recht, das Recht eines anderen Mitgliedstaates oder das Recht eines Drittstaates verweisen, der sein eigenes Recht anwenden würde. Ausgenommen sind gem. Art. 34 Abs. 2 EuErbVO die Fälle, in denen die Verweisung auf einer besonders engen Verbindung beruht (Art. 21 Abs. 2 EuErbVO), auf einer Rechtswahl des Erblassers (Art. 22 EuErbVO) oder in denen die Verweisung die Formwirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen (Art. 27 EuErbVO) bzw. einer Ausschlagungserklärung betrifft. Die Behandlung von Rückverweisungen entspricht damit der Rechtslage in Deutschland vor dem Anwendungsstichtag für die EuErbVO.

 

Rz. 52

In Bosnien-Herzegowina ist auch nach der Auflösung der Jugoslawischen Föderation weiterhin das vormalige Jugoslawische Gesetz zur Lösung von Gesetzeskollisionen mit den Vorschriften anderer Staaten für bestimmte Verhältnisse vom 15.7.1982 (bosn. IPRG)[44] in Kraft. Gemäß Art. 30 IPRG gilt für die Erbfolge das Heimatrecht des Erblassers. Das Heimatrecht wird dann auch für die Pflichtteilsrechte der Eltern gelten. Im Beispielsfall 1 spricht das bosnische Recht daher aufgrund der deutschen Staatsangehörigkeit des Erblassers eine Verweisung auf das deutsche Heimatrecht aus. Folglich ist für die Erbfolge, insbesondere auch für das Bestehen von Pflichtteilsrechten der Eltern, aus bosnischer Sicht deutsches Recht anwendbar. Diesem Rechtsanwendungsbefehl folgen wir aus deutscher Sicht, da unsere Verweisung auf das bosnische Recht gem. Art. 34 Abs. 1 EuErbVO die bosnische Erbkollisionsnorm umfasst.[45] Da mithin deutsches Recht gilt, können sich die Eltern im Beispiel gem. § 2303 Abs. 2 S. 1 BGB eigentlich auf einen Pflichtteil berufen.

 

Rz. 53

Allerdings enthält auch das bosnische IPR in Art. 6 Abs. 1 bosn. IPRG eine dem Art. 34 Abs. 1 EuErbVO entsprechende Regelung, wonach bei Verweisung auf das Recht eines ausländischen Staates auch das internationale Kollisionsrecht dieses ausländischen Staates zu beachten sei. Erfasst die ausländische rückverweisende Kollisionsnorm auch das IPR des (aus dortiger Sicht) ausländischen Staates, wie z.B. die Verweisung auf das deutsche Heimatrecht des Erblassers durch das bosnische Recht (Art. 6 Abs. 1 bosn. IPRG), so trifft diese Rückverweisung auf Art. 21 EuErbVO, der seinerseits wieder auf das bosnische Recht als das am letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers geltende Recht zurückverweisen würde. Folge wäre ein endloses "Tennis-Match" von Hin- und Rückverweisungen. Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB bestimmt daher für das deutsche Recht, dass jede Rückverweisung durch ein ausländisches IPR auf das deutsche Recht so zu behandeln sei, als handele es sich um eine Verweisung unmittelbar auf deutsches materielles Recht (Sachnormverweisung). Damit wird der Verweisungszirkel immer in Deutschland abgebrochen (single renvoi). Diese Klarstellung war 1986 notwendig geworden, weil damals in der Literatur vielfach die Forderung erhoben worden war, im Fall einer Rüc...

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