Rz. 93
Der Erblasser kann gem. Art. 22 EuErbVO ausschließlich das Recht des Staates wählen, dem er im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt seines Todes angehört. Maßgeblich ist also, welche Staatsangehörigkeit der Erblasser besitzt. Ohne Bedeutung ist es, ob das gewählte Recht das Recht eines Staates ist, in dem die EuErbVO gilt oder ob das Recht eines Drittstaates gewählt wurde. Ohne Bedeutung ist auch, ob der ausländische Heimatstaat oder der ausländische Staat, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat und dessen Recht er mithin durch die Ausübung der Rechtswahl derogiert, eine entsprechende Rechtswahlmöglichkeit überhaupt kennt oder nicht. Kennt der Staat die Rechtswahl nicht an und erklärt er das Recht eines anderen Staates für anwendbar, so bleibt dies gem. Art. 34 Abs. 2 EuErbVO aus Sicht der Mitgliedstaaten unbeachtlich.
Rz. 94
Die Frage, ob jemand Angehöriger eines Staates ist, fällt nicht in den Anwendungsbereich der EuErbVO. Vielmehr ergibt sich die Staatsangehörigkeit aus dem öffentlichen Recht des Staates, dessen Recht gewählt werden soll. Aus diesem Recht ergibt sich dann, unter welchen Voraussetzungen die Staatsangehörigkeit erworben wird (Abstammung, kindschaftsrechtliche Anerkennung, Einbürgerung, Heirat etc.) und aus welchen Gründen die Staatsangehörigkeit wieder verloren wird (vgl. insoweit z.B. § 25 StAG, wonach der Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit bei Wohnsitz im Ausland zum automatischen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit führt).
Rz. 95
Besitzt jemand mehrere Staatsangehörigkeiten nebeneinander (Mehrstaater; z.B. aufgrund Abstammung von Eltern mit unterschiedlicher Staatsangehörigkeit), so kann er gem. Art. 22 Abs. 1 UAbs. 2 EuErbVO das Recht jedes dieser Staaten wählen. Das gilt selbst dann, wenn er zu dem Staat, dessen Recht er wählen will, außer der Staatsangehörigkeit keine weiteren Beziehungen mehr hat.
Rz. 96
Eigenartig mutet die Regelung an, wonach der Erblasser neben dem Recht des Staates, dem er zum Zeitpunkt der Rechtswahl angehört, auch das Recht eines Staates wählen kann, dessen Staatsangehörigkeit er noch nicht besitzt und über die er erst bei seinem Tod verfügen wird, Art. 22 Abs. 1 UAbs. 1 Fall 2 EuErbVO. Da niemand sicher voraussehen kann, welche Staatsangehörigkeit er zum Zeitpunkt seines Todes besitzen wird, ist damit gesetzlich anerkannt, dass die Rechtswahl unter einer aufschiebenden Bedingung erfolgen kann. Die mit der Rechtswahl verfolgte "Stabilität der Anknüpfung" und "Planungssicherheit" lässt sich freilich mit einer derartigen Klausel kaum erreichen. Als praktischen Anwendungsfall könnte man sich allenfalls die Situation vorstellen, dass der Erblasser bereits die Einbürgerung in einem exotischen Staat ohne Pflichtteilsordnung beantragt hat, der Einbürgerungsbescheid aber noch aussteht.
Rz. 97
Häufiger findet sich der Hinweis, eine Rechtswahl, mit der der Erblasser pauschal auf das Recht des Staates verweise, dem er zum Zeitpunkt seines Todes angehören werde (dynamische Rechtswahl), sei unwirksam. Es ist zuzugeben, dass eine derartige Rechtswahlklausel voraussichtlich in noch weniger Fällen sinnvoll sein wird als die vorgenannte Wahl des (konkreten) künftigen Heimatrechts. Ein Grund dafür, dass eine entsprechende Anordnung nichtig sein soll, ergibt sich daraus aber noch nicht. Vielmehr folgt aus der gesetzlich anerkannten Möglichkeit, auf künftige Umstände zurückgreifen zu können, gerade auch die Möglichkeit einer Rechtswahl unter Einschaltung von Bedingungen – trotz der sich daraus ergebenden Rechtsunsicherheiten zum Zeitpunkt der Erklärung. Beim Eintritt des Erbfalls steht die Staatsangehörigkeit ohnehin fest, so dass sich in Hinblick auf die Bestimmung des Erbstatuts keine Unsicherheiten ergeben und Interessen Dritter durch die Unsicherheiten nicht beeinträchtigt werden können. Insoweit gilt nichts anderes als bei Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts in dem Fall, dass der Erblasser keine Rechtswahl getroffen hatte.
Rz. 98
Verfügt der Heimatstaat über kein einheitliches Rechtssystem, sondern existieren in einzelnen Gebietseinheiten unterschiedliche Regeln (interlokale Rechtsspaltung; siehe dazu Art. 36 EuErbVO) bzw. existieren für einzelne Bevölkerungsgruppen unterschiedliche Rechtssysteme (interpersonale Rechtsspaltung; siehe dazu Art. 37 EuErbVO), so kann der Erblasser nach dem Wortlaut von Art. 22, 36 EuErbVO ausschließlich das Recht des Heimatstaates (also "indisches" oder "spanisches" Recht) wählen. Eine unmittelbare Bestimmung einer bestimmten Teilrechtsordnung (also "Hindu-Recht" oder "katalanisches Recht") ist nicht wirksam (siehe Rdn 168). Sie kann allenfalls dann getroffen werden, wenn nach dem interlokalen Privatrecht des Heimatstaates eine entsprechende Rechtswahl zulässig wäre (vgl. Art. 36 Abs. 1 EuErbVO). In allen anderen Fällen kann sie aber in die Wahl des Rechts des Heimatstaates (also USA oder Spanien) umgedeutet werden. Die einschlägige Teilrechtsordnung ist dann nach den "objektiven...