Rz. 221
Beispiel 1 (Iranischer Maschinenhändler)
Ein iranischer Maschinenhändler verstirbt mit letztem gewöhnlichem Aufenthalt in München. Er hat keine Verfügung von Todes wegen errichtet und keine Rechtswahl getroffen. Er hinterlässt bewegliches und unbewegliches Vermögen in Deutschland wie auch im Iran.
Rz. 222
Gemäß Art. 4 EuErbVO sind im vorliegenden Fall die deutschen Gerichte für die Ausstellung eines Erbscheins international zuständig. Gemäß Art. 21 EuErbVO würde eigentlich wegen des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers in Deutschland das deutsche Erbrecht gelten. Die deutschen Gerichte haben aber gem. Art. 8 Abs. 3 des Deutsch-Persischen Niederlassungsabkommens das iranische Heimatrecht des Erblassers anzuwenden. Das Nachlassgericht hat daher bei der Ausstellung eines Erbscheins das iranische Erbrecht anzuwenden (zur Korrektur des islamischen Erbrechts aufgrund des deutschen internationalen ordre public siehe § 5 Rdn 21).
Rz. 223
Beispiel 2
Ein aus Frankfurt stammender Bankier mit deutscher Staatsangehörigkeit verstarb 2019 an seinem letzten Wohnsitz in St. Petersburg. Er lebte dort schon seit 15 Jahren zusammen mit seiner Ehefrau, einer russischen Lehrerin, die dort an der Schule unterrichtete. Die beiden Kinder lebten bei ihnen und gingen in St. Petersburg zur Schule. Der Erblasser hinterlässt u.a. Eigentumswohnungen jeweils in St. Petersburg und in Frankfurt-Sachsenhausen.
Rz. 224
Die in St. Petersburg belegene Eigentumswohnung würde gem. Art. 28 Abs. 3 des Deutsch-Sowjetischen Konsularvertrages nach russischem Recht vererbt werden.
Rz. 225
Für die Eigentumswohnung in Sachsenhausen würde sich eigentlich aus Art. 28 des Deutsch-Sowjetischen Konsularvertrages die Geltung der deutschen lex rei sitae ergeben. Aus Art. 25 Abs. 1 des Konsularvertrages ergibt sich aber, dass die nachfolgenden Vorschriften – einschließlich Art. 28 Abs. 3 des Konsularvertrages – ausschließlich den Fall betreffen, dass ein Staatsangehöriger des einen Staates im anderen Staat verstirbt und dort Vermögen hinterlässt, so dass der Konsul des Entsendestaates Anlass zum Tätigwerden erhält. Soweit aber der Erblasser eines der Vertragsstaaten Nachlass in seinem Heimatstaat hinterlässt, ist dieser Fall nicht gegeben. Damit greift dann bzgl. der Eigentumswohnung in Sachsenhausen Art. 28 Abs. 3 des Konsularvertrages nicht ein.
Rz. 226
Aus deutscher Sicht kommt daher Art. 21 EuErbVO zum Zuge. Diese Regelung würde hier wegen des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers in St. Petersburg auf das russische Recht verweisen. Diese Verweisung erfasst gem. Art. 34 EuErbVO auch das russische IPR. Insbesondere wäre dann also eine Verweisung auf das Recht eines Mitgliedstaates zu beachten. Art. 1124 russ. ZGB enthält für den unbeweglichen Nachlass eine Verweisung auf das jeweilige Belegenheitsrecht. Insoweit würde sich hinsichtlich der Eigentumswohnung in Sachsenhausen eine Rückverweisung auf die deutsche lex rei sitae ergeben.
Rz. 227
Für den in Deutschland und in der Russischen Föderation belegenen beweglichen Nachlass enthält der Konsularvertrag keine Kollisionsnorm. Hier würde aufgrund des letzten Wohnsitzes des Erblassers in St. Petersburg das russische Recht gem. Art. 1124 Abs. 1 russ. ZGB die Verweisung annehmen. Insoweit wäre daher russisches Erbrecht anwendbar.
Rz. 228
Beispiel 3
In Side (Türkei) lebende Eheleute mit beiderseits deutscher Staatsangehörigkeit möchten ein Testament beurkunden lassen. Ihnen gehört eine in Side belegene Eigentumswohnung sowie ein Reiheneckhaus in Bottrop, welches derzeit vermietet ist.
Rz. 229
Der beurkundende deutsche Notar hätte im vorliegenden Fall auf der Basis des Deutsch-Türkischen Nachlassabkommens für die Verfügungen über die in Side belegene Eigentumswohnung gem. § 14 Abs. 2 des Nachlassabkommens die türkische lex rei sitae zugrunde zu legen. Für das in der Türkei belegene bewegliche Vermögen käme gem. Art. 14 Abs. 1 des Nachlassabkommens das deutsche Heimatrecht zur Anwendung. Das in Bottrop belegene Reiheneckhaus und das in Deutschland belegene bewegliche Vermögen hingegen würde gem. Art. 20 des Deutsch-Türkischen Konsularvertrages als im Heimatstaat des Erblassers belegenes Vermögen vom Nachlassabkommen nicht erfasst. Gemäß Art. 21 EuErbVO wäre wegen des Lebensmittelpunkts der Eheleute an der türkischen Riviera daher türkisches Recht maßgeblich. Allerdings würde das türkische IPR diese Verweisung nicht annehmen. Für das bewegliche Vermögen würde vielmehr Art. 20 türk. IPR wegen der deutschen Staatsangehörigkeit der Eheleute und für die in Deutschland belegene Immobilie wegen der Belegenheit eine Rückverweisung auf das deutsche Recht aussprechen. Diese Rückverweisung würde aus deutscher Sicht gem. Art. 34 Abs. 1 lit. a EuErbVO angenommen.