1. Allgemeines
Rz. 154
In den meisten Staaten mit interlokaler Rechtsspaltung ist dagegen auch das interlokale Kollisionsrecht gespalten. Art. 4 Abs. 3 S. 2 EGBGB sieht hier vor, dass die Teilrechtsordnung anzuwenden ist, mit der der Sachverhalt am engsten verbunden ist. In der Rechtspraxis wird die deutsche internationale Verweisungsnorm quasi in den interlokalen Bereich "hineinverlängert".
Rz. 155
Art. 36 Abs. 2 EuErbVO sieht in diesem Fall ebenfalls ein interlokales Ersatz-Kollisionsrecht vor. Dieses verfährt aber differenzierter, wie nachfolgend dargestellt.
2. Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt
Rz. 156
Gemäß Art. 36 Abs. 2 lit. a EuErbVO gilt jede Verweisung aufgrund Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers als Bezugnahme auf das Recht der Gebietseinheit, in der der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Konkret bedeutet dies, dass bei einer Verweisung aufgrund von Art. 21 EuErbVO (sei es unmittelbar, sei es aufgrund einer Verweisung in Art. 24, 25 EuErbVO etc.) der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers nicht nur in Bezug auf einen bestimmten Staat zu bestimmen ist, sondern dieser auch innerhalb des bestimmten Staates auf eine bestimmte Gebietseinheit einzugrenzen ist.
Rz. 157
Im Beispielsfall (Rdn 146) mag dies einfach sein, hatte doch der Erblasser in Spanien seinen gewöhnlichen Aufenthalt stets nur auf den Balearen und dort immer nur auf der Insel Mallorca. Ob er freilich auch mit den Besonderheiten des local law vertraut war oder sich ausschließlich an der gemeinspanischen Regelung orientierte, welche Ausländern erheblich leichter zugänglich ist, ist fraglich.
Rz. 158
Ist der Erblasser innerhalb des betreffenden Staates häufig umgezogen, wirft die Bestimmung eines "gewöhnlichen Aufenthalts" in einem bestimmten Teilrechtsgebiet freilich tatsächliche Probleme auf. Hier wird man wohl ersatzweise dann auf eine "engste Verbindung" abstellen müssen.
3. Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit
Rz. 159
Beispiel:
Ein aus Los Angeles stammender US-Amerikaner, der zuletzt mit seiner Ehefrau in New York wohnte und nach der Trennung von ihr nun mit seiner Freundin in Düsseldorf wohnt, möchte für seine Erbfolge gerne kalifornisches Erbrecht wählen. Dieses sieht – anders als das in New York geltende Recht – für die Witwe keine zwingenden Rechte vor, so dass die Erbeinsetzung seiner Lebensgefährtin nicht beeinträchtigt werde.
Rz. 160
Eine Verweisung aufgrund Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Erblassers gilt gem. Art. 36 Abs. 2 lit. b EuErbVO als Bezugnahme auf das Recht der Gebietseinheit, zu der der Erblasser die engste Verbindung hatte. Diese Regelung betrifft effektiv aufgrund Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit in der EuErbVO ausschließlich die Fälle der Rechtswahl (Art. 22, Art. 24 Abs. 2, Art. 25 Abs. 3 EuErbVO).
Rz. 161
Damit kann in dem Fall, dass der Heimatstaat keine einheitliche Regelung hinsichtlich des interlokalen Privatrechts kennt, der Testator nur das Recht des Gesamtstaates wählen, er kann aber nicht unmittelbar eine ihm vertraute oder günstig erscheinende Teilrechtsordnung aussuchen. Vorbehaltlich eines einheitlichen interlokalen Kollisionsrechtssystems in diesem Staat (vgl. Art. 36 Abs. 1 EuErbVO) wird dann also die maßgebliche Teilrechtsordnung zwingend nach dem "objektiven Maßstab" in Art. 36 Abs. 2 lit. b EuErbVO bestimmt.
Rz. 162
Für den Beispielsfall ergibt sich daraus, dass der Kalifornier in seinem Testament ausschließlich die Geltung des US-Rechts anordnen kann. Bestimmt er dennoch die Geltung des Rechts eines bestimmten Einzelstaates, so ist diese Anordnung unzulässig und man könnte sich allenfalls überlegen, ob eine Umdeutung in die Wahl des Rechts des Gesamtstaates in Betracht kommt. Ob dann das vom Erblasser gewünschte kalifornische oder das mutmaßlich von der Ehefrau präferierte Recht von New York gilt, entscheidet der zuständige deutsche (Art. 4 EuErbVO) Richter anhand seiner Vorstellungen von der engsten Verbindung. Kommt es dann zur Geltung des Erbrechts von New York, so wäre genauer zu ermitteln, ob der Erblasser auch für diesen Fall die Geltung des US-Rechts gewollt hätte oder ob aus diesem Grunde die Umdeutung ausscheidet.
Rz. 163
Eine besondere Rechtsunsicherheit ergibt sich nun daraus, dass Art. 36 Abs. 2 lit. b EuErbVO nicht konkretisiert, ob die engste Verbindung zum Zeitpunkt des Todes oder zum Zeitpunkt der Rechtswahl entscheidet.
Rz. 164
So würde sich im Beispielsfall vermutlich die Verbindung nach New York mit der Zeit abschwächen und die Verbindung nach Kalifornien verstärken, wenn der Erblasser z.B. in Los Angeles Familienangehörige hätte, die er regelmäßig besucht, in New York aber außer seiner Ehefrau niemand mehr wohnt. Die Rechtswahl würde aber als Gestaltungsmittel erheblich an Bedeutung verlieren. Zieht der Erblasser z.B. später nach Texas und stirbt dort, so würde eine enge Beziehung wohl nur noch zum texanischen Recht führen, welches er bei Errichtung der Verfügung möglicherweise gar nicht in Betracht gezogen hatte.