1. Erfordernis der Ausdrücklichkeit
Rz. 99
Die Rechtswahl kann ausdrücklich erfolgen, etwa in der Weise: "Die Erbfolge nach meinem Tode soll dem Recht des Vereinigten Königreichs unterliegen." Art. 22 Abs. 2 EuErbVO lässt es aber auch genügen, dass sich die Rechtswahl "aus den Bestimmungen einer Verfügung von Todes wegen" ergibt. Erstaunlich ist dabei, dass – im Gegensatz zu Art. 3 Rom I-VO – es nicht erforderlich ist, dass sich die Rechtswahl "eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrags" ergibt bzw. sie sich "mit hinreichender Sicherheit aus den Umständen des Falles ergeben" muss (Art. 14 Abs. 1 Rom II-VO). EG 39 S. 2 EuErbVO weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine Rechtswahl sich als durch eine Verfügung von Todes wegen ergebend angesehen werden könnte, wenn z.B. der Erblasser in seiner Verfügung Bezug auf spezifische Bestimmungen des Rechts des Staates, dem er angehört, genommen hat oder das Recht dieses Staates in anderer Weise erwähnt hat. Damit wird in weitem Umfang eine "konkludente" Rechtswahl ermöglicht, wo der Erblasser die Geltung einer bestimmten Rechtsordnung beabsichtigte, aber sich hierzu nicht ausdrücklich geäußert hat. An einen rechtsgeschäftlichen Rechtswahlwillen seien geringe Anforderungen zu stellen. Paradebeispiel ist die Errichtung eines Testaments mit Benennung eines executors, von Vermächtnissen und mit einer trust-Anordnung durch eine Dame aus Kalifornien, die elterliche Vorausteilung durch einen niederländischen Familienvater oder die Zuweisung eines Wahlrechts zwischen Nachlassnießbrauch und gesetzlicher Erbquote an die Ehefrau durch einen Franzosen.
Rz. 100
Darüber hinausgehend werden einer "ergänzenden Testamentsauslegung" auch in allen Fällen, in denen sich der Erblasser über die Frage des anwendbaren Rechts nicht einmal Gedanken gemacht hatte, Tür und Tor geöffnet. Im Wege eines "kollisionsrechtlichen favor testamenti" wird sich hieraus wohl ergeben, dass eine Wahl des Heimatrechts immer dann unterstellt werden muss, wenn die getroffenen Verfügungen nur unter Zugrundelegung eines bestimmten Rechts die offensichtlich beabsichtigten Wirkungen entfalten können. Der europäische Gesetzgeber favorisiert insoweit also "liberale" Erbrechtsordnungen, die – wie z.B. das deutsche Erbrecht – durch ein weites Instrumentarium (Erbvertrag, Erbverzicht, gemeinschaftliches Testament, Nacherbfolge, Testamentsvollstreckung, relativ maßvolle Pflichtteilsrechte) die Verfügungsfreiheit begünstigen, und setzt solche Rechtsordnungen zurück, die lebzeitige Bindungen nicht zulassen oder den Hinterbliebenen mehr Schutz vor der Regelungswut des Erblassers bieten. Grenzen für die Unterstellung einer Rechtswahl ergeben sich hier allein aus dem Erfordernis, dass die Rechtswahl sich aus der Erklärung in Form einer Verfügung von Todes wegen (zur erforderlichen Form siehe Rdn 114) ergeben muss. Ob ein in Spanien lebender Deutscher das deutsche Erbrecht schon dadurch wählt, wenn er "Vor- und Nacherbfolge" anordnet, ist zweifelhaft. Auch spanisches Recht kennt die "sustitución fideicomisaria“ (Art. 781 ff. CC) und verlangt für die Wirksamkeit eines Testaments nicht die Verwendung der spanischen Sprache."
Rz. 101
Die Rechtswahl muss sich in einer Verfügung also irgendwie niedergeschlagen haben. Eine Bezugnahme auf die "Umstände des Einzelfalles" genügt nicht für die Annahme einer Rechtswahl. Damit ist klar, dass nur in einem Testament mit materiellen Verfügungen eine konkludente Rechtswahl gesehen werden kann. Eine isolierte Rechtswahl (also eine Verfügung von Todes wegen, die außer der Rechtswahl keine weiteren Anordnungen enthält) dagegen kann nur durch ausdrückliche Erklärung in testamentarischer Form erfolgen.
Rz. 102
Da die internationale Zuständigkeit nach der EuErbVO im Wesentlichen an dem gewöhnlichen Aufenthalt und nur ausnahmsweise an der Staatsangehörigkeit des Erblassers ausgerichtet ist, würde die Unterstellung einer Rechtswahl in den meisten Fällen dazu führen, dass das zuständige Gericht der Erbfolge statt der lex fori das ausländische Heimatrecht des Erblassers zugrunde legen müsste. Das mag einer voreiligen Unterstellung einer nicht ausdrücklich formulierten Rechtswahl in der Praxis entgegenwirken. Wer die Anwendung des Heimatrechts dennoch ausschließen will, kann dies vorsichtshalber durch Einfügung einer "negativen Rechtswahl" in sein Testament erreichen, indem er sich gegen eine entsprechende Unterstellung ausdrücklich ausspricht und den Wunsch äußert, nach dem Recht seines gewöhnlichen Aufenthalts beerbt zu werden.