Rz. 172
Beispiel:
Der Erblasser war Professor an einer Hochschule in Berlin. Aufgrund eines universitären Kooperationsprogramms ist er für zunächst zehn Jahre an eine Partnerhochschule nach Glasgow gegangen. Noch bevor sein Engagement verlängert wurde, verstarb er plötzlich. Er hinterlässt ein Grundstück in Spandau, eine Eigentumswohnung in London und ein Haus in Glasgow sowie Bankguthaben in London und Frankfurt.
Rz. 173
Auch bei Verweisung auf das Recht eines Staates ohne einheitliches Zivilrecht ist das dort geltende internationale Erbrecht gem. Art. 34 Abs. 1 EuErbVO anzuwenden und auf eine Rück- oder Weiterverweisung zu prüfen. Dabei ist wie folgt vorzugehen:
Rz. 174
Zunächst ist zu prüfen, ob ein national einheitliches IPR existiert. In diesem Fall ist noch vor Anwendung des interlokalen Privatrechts zu prüfen, ob der ausländische Staat die Verweisung überhaupt annimmt. Spricht das nationale IPR eine Rück- oder Weiterverweisung aus, so steigt man in die interlokale Prüfung erst gar nicht ein. Diese Situation war in der früheren Jugoslawischen Föderation gegeben und ist derzeit wohl allein in Bosnien-Herzegowina und in Spanien der Fall. Da in Spanien aber auch die EuErbVO gilt, scheidet eine Rück- oder Weiterverweisung ohnehin aus (siehe Rdn 52).
Rz. 175
In den meisten Staaten mit interlokaler Rechtsspaltung auf dem Gebiet des Erbrechts ist hingegen auch das internationale Erb-Kollisionsrecht gespalten, wie z.B. in den USA, in Großbritannien, Kanada, Mexiko und China. Daher ist über Art. 36 Abs. 2 EuErbVO nach Verweisung auf das Recht dieses Staates auch zur Prüfung des ausländischen IPR zunächst die einschlägige Teilrechtsordnung zu ermitteln. Auf Ebene der Teilrechtsordnung ist wiederum vorrangig das internationale und das interlokale Kollisionsrecht zu prüfen. Typisch für die meisten Staaten ist dabei, dass die Anknüpfung des Erbstatuts im internationalen und im interlokalen Verhältnis nach denselben Regeln erfolgt (insbesondere im Vereinigten Königreich, in den USA und Kanada). Hier sind dann drei Möglichkeiten denkbar:
▪ |
Zunächst kann das IPR die Verweisung annehmen und damit kann sich die Anwendbarkeit dieser Teilrechtsordnung ergeben. |
▪ |
Es kann aber auch eine internationale Rückverweisung auf das deutsche Recht oder eine internationale Weiterverweisung auf das Recht eines dritten Staates aussprechen. |
▪ |
Schließlich ist vorstellbar, dass eine "interne" Weiterverweisung auf das Recht einer anderen Teilrechtsordnung desselben Staates erfolgt. |
Rz. 176
Damit ergibt sich im Beispielsfall zunächst aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers gem. Art. 21 EuErbVO eine Verweisung auf das Recht des Vereinigten Königreichs. Dieses hat kein einheitliches Erbrecht und auch kein einheitliches IPR auf dem Gebiet des Erbrechts. Auch wenn die Anknüpfungsregeln in den einzelnen Gebieten weitgehend identisch sind, so sind sie dennoch nicht einheitlich, sondern basieren auf der Rechtshoheit der einzelnen Landesteile. Mangels eines einheitlichen interlokalen Privatrechts i.S.v. Art. 36 Abs. 1 EuErbVO ist daher gem. Art. 36 Abs. 2 EuErbVO zu verfahren. Gemäß Art. 36 Abs. 2 lit. a EuErbVO ist also das Recht des Teilrechtsgebietes anzuwenden, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Diese Verweisung führt im vorliegenden Fall zum Recht von Schottland.
Rz. 177
Hier wäre gem. Art. 34 Abs. 1 EuErbVO zunächst das IPR von Schottland zu prüfen. Dieses verweist für die Vererbung von immoveables auf das Recht des Staates, in dem diese jeweils belegen sind. Für bewegliches Vermögen gilt das Recht des Rechtsgebietes (jurisdiction), in der der Erblasser sein letztes domicile hatte. Im Einzelnen:
▪ |
Daraus folgt für das in Glasgow belegene Wohnhaus des Erblassers, dass das schottische Recht die Verweisung annimmt. |
▪ |
Für das Grundstück in Spandau spricht das schottische Recht eine Rückverweisung auf die deutsche lex rei sitae aus, die gem. Art. 34 Abs. 1 lit. a EuErbVO angenommen wird. |
▪ |
Die Bankguthaben in Frankfurt und London unterliegen dem Domizilrecht des Erblassers. Da dieser sich allein berufsbedingt in Glasgow aufhielt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass er nach Beendigung der Abordnung bzw. mit Eintritt in den Ruhestand nach Deutschland zurückkehrt. Er wird daher wohl kein "Schotte" geworden sein und sein domicile of origin in Deutschland nicht durch ein domicile of choice in Schottland ersetzt haben. Auch insoweit erfolgt daher eine Rückverweisung auf das deutsche Recht, Art. 34 Abs. 1 lit. a EuErbVO. |
▪ |
Für die Eigentumswohnung in London schließlich spricht das schottische Recht eine (landesinterne) Verweisung auf das englische Recht aus. Da das englische Kollisionsrecht ebenfalls von der Geltung der lex rei sitae ausgeht, nimmt diese die Verweisung an. In entsprechender Anwendung von Art. 34 Abs. 1 lit. b EuErbVO ist daher die Verweisungskette in England beendet. Es ist allerdings noch nicht abschließend geklärt, ob diese landesinterne Verweisung zu beachten ist. Es wird wohl überwiegend davon au... |