Rz. 230
Im Beispiel 1 (Iranischer Maschinenhändler; siehe Rdn 221) hinterlässt der Erblasser auch Anteile an Gesellschaften mit Sitz in Marseille, so dass die Erben die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ENZ) beantragen. Gemäß Art. 4 EuErbVO sind ausschließlich die deutschen Gerichte für die Ausstellung eines ENZ zuständig. Gemäß Art. 21 EuErbVO wäre wegen des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers in Deutschland das deutsche Erbrecht anwendbar. Die deutschen Gerichte haben aber gem. Art. 8 Abs. 3 des Deutsch-Persischen Niederlassungsabkommens das iranische Heimatrecht des Erblassers anzuwenden. Insoweit ergibt sich aus Art. 75 Abs. 1 EuErbVO der Vorrang des Niederlassungsabkommens vor der EuErbVO, so dass das iranische Heimatrecht angewandt werden kann.
Rz. 231
Das vom deutschen Nachlassgericht ausgestellte ENZ wäre in Frankreich bei der Abwicklung der dort belegenen Nachlassteile anzuerkennen. Da für Frankreich das Deutsch-Persische Niederlassungsabkommen nicht bindend ist und die Französische Republik mit dem Iran kein entsprechendes Abkommen abgeschlossen hat, wäre aus französischer Sicht aber deutsches Aufenthaltsrecht und nicht das iranische Heimatrecht des Erblassers auf die Erbfolge anwendbar. Bei Anerkennung des in Deutschland nach iranischem Erbrecht ausgestellten ENZ zur Abwicklung des in Frankreich belegenen Nachlasses ergäbe sich also ein "Widerspruch" zur Rechtslage nach der EuErbVO. Das ENZ wäre daher aus französischer Sicht zumindest hinsichtlich der Angaben zum Erbstatut, möglicherweise auch zur Erbfolge, unrichtig. Das Deutsch-Persische Niederlassungsabkommen würde damit über die Regelungen zur Anerkennung des ENZ in den Mitgliedstaaten auch für Frankreich verbindlich.
Rz. 232
Zur Lösung dieses Problems ist m.E. der Regelungszusammenhang der Konsular- und Niederlassungsabkommen genauer zu betrachten. Die Konsularabkommen beschreiben die Aufgaben und Kompetenzen, die den Konsuln des jeweils anderen Staates im Empfangsstaat zukommen. Hierzu gehört bei den beiden genannten Abkommen auch, dass der Konsul den Nachlass eines Angehörigen des Entsendestaates abwickeln kann, wenn sämtliche Erben sich im Entsendestaat aufhalten und daher (zumindest nach den Verhältnissen zu der Zeit, in der die Abkommen abgeschlossen wurden) nicht in der Lage sind, den im jeweils anderen Abkommenstaat belegenen Nachlass zu ermitteln, zu liquidieren und zu transferieren. Aus der strengen Territorialität der konsularischen Befugnisse (der Empfangsstaat kann dem Konsul des Entsendestaates entsprechende Befugnisse nur für sein eigenes Gebiet verleihen, nicht aber darüber hinaus) ergibt sich, dass die mit dem Konsularabkommen verliehenen Befugnisse ausschließlich das im Empfangsstaat belegene Vermögen eines Erblassers aus dem Entsendestaat erfassen. Wenn dann ergänzend zu diesen konsularischen Kompetenzen Vereinbarungen getroffen werden, nach welchem Recht der Nachlass abzuhandeln ist, so beziehen sich diese in das Konsularabkommen eingefügten erbrechtlichen Kollisionsnormen notwendigerweise ebenfalls ausschließlich auf den im Empfangsstaat belegenen Nachlass. Art. 20 des Deutsch-Türkischen Konsularabkommens bestimmt sogar ausdrücklich, dass die Regelungen des dem Konsularabkommen beigefügten Nachlassabkommens sich auf die "in dem Gebiete des einen vertragsschließenden Staates befindlichen Nachlässe von Angehörigen des anderen Staates" beziehen. Das Nachlassabkommen regelt also bei einem türkischen Erblasser das auf die Erbfolge anwendbare Recht ausschließlich hinsichtlich seines in der Bundesrepublik Deutschland belegenen beweglichen und unbeweglichen Nachlasses und im Fall eines deutschen Erblassers ausschließlich hinsichtlich seines in der Türkei belegenen beweglichen und unbeweglichen Nachlasses, nicht aber die im Heimat- bzw. Entsendestaat belegenen Nachlässe. Das gilt umso mehr für die in Drittstaaten belegenen Nachlassteile.
Rz. 233
Das Deutsch-Persische Niederlassungsabkommen enthält keine so deutlichen Anhaltspunkte für eine territoriale Beschränkung des Anwendungsbereichs der Kollisionsnorm hinsichtlich des auf die Erbfolge anwendbaren Rechts. Allerdings dürfte wohl der Regelungszweck des Abkommens, die rechtliche Position der im anderen Abkommensstaat niedergelassenen eigenen Staatsangehörigen zu verbessern, für eine entsprechende territoriale Eingrenzung sprechen.
Rz. 234
Die Erstreckung des Anwendungsbereichs der in den Konsularabkommen und dem Niederlassungsabkommen enthaltenen erbrechtlichen Kollisionsnormen auf außerhalb des Abkommensstaates belegenes Vermögen würde also zu einer Ausweitung führen, die schon vor dem Erlass der EuErbVO zu nicht beherrschbaren Abgrenzungsproblem geführt hätte. Erst recht würde sie wegen der andersartigen Anknüpfung unter der EuErbVO zu permanenten Rangkollisionen führen. Sie ist daher vom Zweck der bilateralen Abkommen nicht gedeckt.
Rz. 235
Beispiel 1 (Rdn 221) ist daher dahingehend zu lösen, dass das Deutsch-Persische Niederlassungsabk...