Rz. 40
Umstritten war zunächst die Frage, ob im Erbrecht ein mehrfacher gewöhnlicher Aufenthalt vorstellbar ist. Typischerweise werden hier als Problemfälle die sog. Mallorca-Rentner genannt, die gleichermaßen viel Zeit des Jahres in Deutschland wie auch im Süden verbringen, oder die Fälle, in denen eine Person in einem Staat arbeitet und in einem anderen mit der Familie lebt. Man könnte hier sowohl einen simultan bestehenden Aufenthalt in beiden Staaten als auch einen alternierenden Aufenthalt (also dort, wo sich die betreffende Person aktuell aufhält) annehmen.
Rz. 41
Unverkennbar ist, dass sich hier Konstellationen ergeben können, in denen die Fixierung des gewöhnlichen Aufenthalts auf einen der beiden Staaten willkürlich erscheinen muss. Das gilt gerade in den Übergangsphasen, in denen ein allmählicher Wechsel des Lebensmittelpunkts von einem Staat in den anderen stattfindet, so dass zu beiden Staaten nahezu gleich starke Bindungen bestehen. Dennoch gibt es zwei Argumente, die gegen dieses Modell sprechen: Zum einen schließt die Konzeption des gewöhnlichen Aufenthalts als "Lebensmittelpunkt" seine Teilbarkeit aus. Zum anderen – und dies ist das bedeutendere – mag es zwar denkbar sein, im Bereich der internationalen Zuständigkeit zu einer konkurrierenden Zuständigkeit mehrerer Gerichte aufgrund mehrfachen gewöhnlichen Aufenthalts der betreffenden Person zu gelangen. Im Bereich der Anknüpfung des Erbstatuts aber würde man bei Annahme eines mehrfachen gewöhnlichen Aufenthalts zu keiner Anknüpfung gelangen. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO sieht für diesen Fall keine Ersatzanknüpfung vor (anders als z.B. die insoweit differenzierter ausgestaltete Vorschrift in Art. 3 Haager Erbrechtsübereinkommen 1989, wo im Rahmen einer Stufenanknüpfung eine subsidiäre Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit vorgesehen ist). Daher verbietet die Regelung in Kapitel III der EuErbVO die Feststellung eines mehrfachen gewöhnlichen Aufenthalts und zwingt den Rechtsanwender dazu, im Rahmen der Auslegung des Begriffs eine eindeutige Entscheidung zu treffen.
Rz. 42
Die Väter der EuErbVO haben dieses Problem gesehen. In EG 24 EuErbVO geben sie Hinweise, welche Kriterien in diesen Fällen den Ausschlag geben sollen. Dabei werden z.B. der "Herkunftsstaat", die Staatsangehörigkeit, die familiäre Verbundenheit, soziale Beziehungen genannt; als ultima ratio bei Personen, die ständig durch die Welt reisen (sog. internationale Vagabunden) auch die Staatsangehörigkeit oder die Belegenheit des wesentlichen Teils des Vermögens. Hieraus ergibt sich nicht nur, dass der gewöhnliche Aufenthalt im Rahmen der EuErbVO erbrechtsspezifisch unter besonderer Berücksichtigung langfristiger Bindungen und familiärer Beziehung zu bestimmen ist. Es ergibt sich auch die Übertragung des aus dem common law bekannten Grundsatzes, wonach keine Person ohne domicile ist und niemand mehr als ein domicile hat, auf den gewöhnlichen Aufenthalt im Erbrecht.
Rz. 43
Bei der Lösung dieser – zugegebenermaßen schwierigen – Fälle könnte die Entscheidung des OLG Rostock vom 25.5.2000 zur Zuständigkeit nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen sein. Dort hatten die Eltern zunächst mit dem Kind gemeinsam in Deutschland gelebt. Als nach Trennung der Ehemann nach Toulouse versetzt wurde, vereinbarten sie, dass das Kind abwechselnd bei dem Vater in Toulouse und bei der Mutter in Mecklenburg leben sollte. Das OLG war der Ansicht, wenn ein Kind nach dem Willen seiner Eltern abwechselnd bei dem einen Elternteil im Staat A und dem anderen Elternteil im Staat B lebe, verbleibe sein gewöhnlicher Aufenthalt i.S.d. Art. 3 HaagKindEntfÜbk unabhängig von der Sechs-Monats-Regel dort, wo es sich zu dem Zeitpunkt befand, als der ständige Ortswechsel begann, es sei denn, dass im Ausnahmefall besondere Gründe dafür sprechen, dem Aufenthalt im anderen Staat trotz seiner nur vorübergehenden Anlage den Charakter eines gewöhnlichen Aufenthalts zuzusprechen. Die Entscheidung betraf keinen Erbfall, ja nicht einmal die Auslegung des gewöhnlichen Aufenthalts im Rahmen einer Europäischen Verordnung. Das hier zum Ausdruck kommende "Trägheitsprinzip" lässt sich aber gut auf diese Fälle übertragen. Die Wechselfälle begründen also – da hier der Aufenthalt in keinem der betroffenen Staaten dauerhaft angelegt ist – keinen gewöhnlichen Aufenthalt. In diesen Fällen lässt sich die Lösung häufiger dann einfacher finden, wenn man realisiert, dass zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts in einem Staat korrespondierend der bisherige gewöhnlichen Aufenthalt im Herkunftsstaat erforderlich ist. Das Beibehalten einer Wohnung oder wesentlicher Elemente in einem Staat hindert also so lange die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts in einem anderen Staat, wie nicht die vorherige Wohnung ganz klar zur Nebenwohnung wird und die Beziehungen zum Zuzugsstaat die Beziehungen zum Herkunftsstaat überwiegen. Bei einem "Umzug" bzw. "Auswanderer" tritt hier mit Ankunft im Zuzugsstaat ein klarer Schnitt ein. In den Zugvögel-Fälle...