Rz. 319
Der durchschnittliche Fall einer Inkassodienstleistung ist durch die automatisierte und standardisierte Aktenanlage aufgrund einer elektronischen Datenübermittlung, in der Regel via Schnittstelle, eine Schlüssigkeitsprüfung auf abstrakt-genereller Ebene, einen oder mehrere Kommunikationsversuche mit dem Schuldner auf schriftlicher, elektronischer oder fernmündlicher Basis und die Zahlungseingangsüberwachung sowie die Bearbeitung auf Sachbearbeiterebene nur unter Kontrolle des Rechtsanwaltes oder der qualifizierten Person im Sinne des § 12 Abs. 4 RDG gekennzeichnet. Geht die Leistung darüber hinaus liegt ein umfangreicher Fall vor, zahlt der Schuldner dagegen ohne weiteres auf die Erstmahnung des Rechtsdienstleisters, liegt in der Regel ein einfacher Fall vor. Der Regelfall ist mangels anderer Ermessensgesichtspunkte im Rahmen des § 14 RVG mit einer 0,9-Geschäftsgebühr pflichtgemäß bestimmt.
Aus der ex-ante-Sicht des Rechtsdienstleisters bei Auftragserteilung und Übergabe der Forderung, wird regelmäßig von einer durchschnittlichen Inkassodienstleistung auszugehen sein, wenn die Forderung nicht schon zuvor vom Schuldner bestritten wurde. Die Praxis zeigt, dass in weniger als 20 % aller Fälle auf die Erstmahnung eines Rechtsdienstleisters vom Schuldner Zahlungen geleistet werden. Da zum Zeitpunkt der Erstmahnung also weder die unverzügliche Zahlung des Schuldners angenommen werden kann noch regelmäßig Sachverhalte vorliegen, die einen umfangreichen Fall begründen, ist es sachgerecht, wenn die Rechtsdienstleister die erste Mahnung mit einer 0,9-Geschäftsgebühr verbindet. Es handelt sich insoweit um die Regelgebühr, während die 0,5 Geschäftsgebühr in einem einfachen Fall die an weitere Voraussetzungen gebundene Ausnahme darstellt. Diese weiteren Voraussetzungen sind im Zeitpunkt der Versendung der ersten Mahnung des Rechtsdienstleisters nicht gegeben. Auch rechtssystematisch gilt der Vorrang des Auftrages, der auf eine umfassende Forderungseinziehung und damit den Regelfall der durchschnittlichen Inkassodienstleistung gerichtet ist.
Hinweis
Die Justiz verfährt nicht anders, wenn sie in Nummer 1210 KV GKG die Zustellung der Klageschrift von der Einzahlung einer 3,0 Gerichtsgebühr abhängig macht, obwohl der weitere Verfahrensablauf die Absenkung auf eine 1,0 Gerichtsgebühr begründen kann. Hier findet keine Beschränkung auf eine 1,0 Gerichtsgebühr statt, die erst dann erhöht wird, wenn der Privilegierungstatbestand nicht eintritt. Nichts anderes gilt im Verhältnis von Nr. 3305 zu 3306 VV RVG im gerichtlichen Mahnverfahren. Auch hier darf zunächst die 1,0-Verfahrensgebühr nach Nr. 3305 VV RVG unter Berücksichtigung der Anrechnung erhoben werden, da mit dem Beginn des gerichtlichen Mahnverfahrens gerade noch nicht feststeht, dass sich das Verfahren vor der Antragstellung erledigt. Was der Justiz also billig ist, ist dem Rechtsdienstleister Recht. Der Regelungsmechanismus ist identisch, so dass auch die Verfahrensweise nicht abweichend betrachtet werden muss.
Es ist zu erwarten, dass Verbraucherschützer verlangen werden, dass der Rechtsdienstleister mit einer 0,5-Geschäftsgebühr beginnt. Dem kann mit den besseren Argumenten, wie dargestellt, begegnet werden. Hinzu kommt, dass die Erstmahnung mit einer 0,5-Geschäftsgebühr nach § 254 Abs. 2 BGB zwingend den Hinweis auf die drohende Erhöhung auf eine 0,9-Geschäftsgebühr voraussetzt, wenn nicht unmittelbar gezahlt wird. Das kann vom Schuldner – wenn auch unzutreffend – als Drohung verstanden werden. Demgegenüber hat die Geltendmachung einer 0,9-Geschäftsgebühr mit dem Hinweis auf eine Absenkung der Gebühren bei einer unmittelbaren Zahlung einen zu begrüßenden motivierenden Charakter.
Rz. 320
Macht der Rechtsdienstleister mit der ersten Mahnung eine 0,9 Geschäftsgebühr geltend, und zahlt der Schuldner sodann mit der Folge, dass ein einfacher Fall vorliegt, so liegt eine Überzahlung vor. Der Schuldner hat in diesem Fall ein Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Hs., 1. Alt BGB. Um diese Überzahlungssituation zu vermeiden, ist der Rechtsdienstleister zwar nicht rechtlich verpflichtet, aber gut beraten, den Schuldner mit der Erstmahnung darauf hinweisen, dass eine unverzügliche Zahlung zu einer niedrigeren Geschäftsgebühr nebst Auslagen führt, die er dann bitte auch nur zahlen möge. Schuldnerfreundlich verhält sich, wer die absolute Höhe der offenen Gesamtforderung in Anwendung einer 0,5-Geschäftsgebühr mitteilt.
Hinweis
Fehlt es an dem Hinweis, wird man zumindest gegenüber Verbrauchern verlangen müssen, dass die Überzahlung ohne Weiteres zurück gewährt wird. Die Aufgabe obliegt dem Gläubiger. Der Rechtsdienstleister ist nämlich nach §§ 675, 667 BGB gehalten, alles, was er in Ausführung des Auftrages erlangt hat, mithin auch die Überzahlung, an den Gläubiger herauszugeben. Er darf also aus eigenem Recht die Überzahlung nicht an den Schuldner zurück gewähren.
Wurde dagegen ein entsprechender Hinweis erteilt, ist es an dem Schuldner, die bereicherungsrechtli...