Rz. 324
Nach Nr. 2300 Abs. 2 VV RVG darf bei einer Inkassodienstleistung über eine unbestrittene Forderung eine höhere als eine 0,9-Geschäftsgebühr nur gefordert werden, wenn die Inkassodienstleistung besonders umfangreich oder schwierig ist. Eine besondere Schwierigkeit steht nicht wirklich im Raum, hat im Gesetzgebungsverfahren keine Rolle gespielt und wird aktuell nicht diskutiert. Die Frage konzentriert sich also auf die umfangreiche Inkassodienstleistung. Die maximale Geschäftsgebühr ist auf 1,3 begrenzt, so dass sich ein Rahmen einer 0,9 bis 1,3-Geschäftsgebühr eröffnet, der nach Maßgabe des § 14 RVG auszufüllen ist.
Maßstab für die Frage, wann die Inkassodienstleistung umfangreich ist, kann nicht die Bandbreite aller Rechtsdienstleistungen sein, sondern konsequenterweise nur die durchschnittliche Inkassodienstleistung. Insoweit ist der Maßstab für das Überschreiten der jeweiligen Schwellengebühr in Nr. 2300 Abs. 1 und Abs. 2 VV RVG ein unterschiedlicher. Der umfangreiche Fall liegt also vor, wenn mehr als der Durchschnitt geleistet wird. Um die Schwelle prägnanter erscheinen zu lassen, verlangt der Gesetzgeber einen "besonders" umfangreichen Fall, was eine gewisse Deutlichkeit des Überschreitens beschreiben soll.
Der Gesetzgeber nennt die mehrfache Adressermittlung und die Überwachung von mehr als 9 Raten einer Zahlungsvereinbarung als Kriterien für eine umfangreiche Inkassodienstleistung und verneint sie allein aufgrund der Zahl von Mahnungen, ohne auf deren Erfolgswahrscheinlichkeit abzustellen. Jedenfalls wird man davon ausgehen müssen, dass eine besonders umfangreiche Inkassodienstleistung vorliegt, wenn ein Sachverhalt gegeben ist, der heute schon anerkannt eine umfangreiche Tätigkeit zur Überschreitung der 1,3-Schwellengebühr begründet. Insoweit kann auf gesicherte Fallkonstellationen zurückgegriffen werden.
Rz. 325
& Checkliste: Umfangreiche Bearbeitung
Ausgehend von einer 0,9-Geschäftsgebühr für den durchschnittlichen Fall einer Inkassodienstleistung, können folgende Umstände ein Überschreiten der Schwellengebühr als umfangreich rechtfertigen:
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Mehrfache Aufenthaltsermittlungen wegen Wohnsitzwechseln des Schuldners, insbesondere wenn dieser gegen seine Meldepflichten verstoßen oder dem Gläubiger eine Adressermittlung nicht mitgeteilt hat; HinweisNeben der Adressermittlung wird der vergleichbare Aufwand bei der Identitätsfeststellung nicht zuletzt vor dem Hintergrund der vermehrt auftretenden Identitätsdiebstähle in gleicher Weise zu behandeln sein. |
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die Bearbeitung von Rücklastschriften beim Gläubiger, bei denen der Schuldner aufgrund eines Kartenzahlungsvorgangs überhaupt nicht bekannt ist. In diesen Fällen muss die Aktenanlage über eine IBAN erfolgen, der Rücklastschriftgrund analysiert und bewertet werden, eine umfangreiche Beleganforderung durchlaufen und auf dieser Grundlage bei den bezogenen Banken die Identität und die Anschrift des Schuldners ermittelt werden. Der Gläubiger und sein Rechtsdienstleister haben hier am Beginn der Forderungseinziehung nicht mehr als den EC-Kartenbeleg in Händen; |
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die Überwachung von mehr als 9 Raten bei einer Zahlungsvereinbarung; HinweisDieses Beispiel nennt der Gesetzgeber selbst, wobei die Zahl der Mehrraten eine Differenzierung innerhalb des eröffneten Rahmens einer 0,9–1,3-Geschäftsgebühr erlaubt. Bei der Zählung werden die Raten doppelt zu zählen sein, die vom Schuldner nicht unaufgefordert zum Fälligkeitszeitpunkt gezahlt werden, sondern die nochmals angemahnt werden müssen, weil sie rein tatsächlich den doppelten, wenn nicht sogar einen darüber hinausgehenden Aufwand erfordern. |
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der notwendige Einsatz von Fremdsprachenkenntnissen, wobei zwischen Englisch und Französisch als Standard- und Schulsprachen, die übrigen EU-Sprachen und die Sprachen außerhalb der EU Anhaltspunkte für Unterscheidungen innerhalb des Gebührenrahmens geben können; |
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Beitreibung einer Forderung mit Auslandsbezug; |
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umfangreiche Telefonate, die über kurze Mitteilungen, Sachstandsanfragen und eine bloße Informationsbeschaffung hinausgehen, d.h. es kommt zum Austausch widerstreitender Argumente; Hier können quantitative und/oder qualitative Elemente den Umfang der Erhöhung begründen. Beides wirkt sich auf den Aufwand aus. Zeit kostet Geld und die qualitative Ausbildung ebenso. HinweisDie Geschäftsgebühr sollte nach der Gesetzesbegründung zum RVG auch die frühere Besprechungsgebühr nach der BRAGO ersetzen. Besprechungen sollten deshalb nach dem ausdrücklichen Willen eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über den Rahmen einer 1,3-Schwellengebühr hinaus erlauben. |
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ein umfassendes Aktenstudium, dem im Verhältnis zur durchschnittlichen Inkassodienstleistung, die umfangreiche Aktenanlage gleichstehen muss. Dabei ist zu sehen, dass der Gesetzgeber als Teil der Inkassodienstleistung die elektronische Datenübernahme und insoweit die automatisierte und standardisierte Aktenanlage sieht. Wird dabei, gerade bei kleinen Inkassodienstleistern und be... |