Rz. 287
Regelmäßig wird gegenüber Inkassodienstleistern und dem deren Kosten verlangenden Gläubiger eingewandt, dass die vorgerichtlichen Schreiben sich lediglich als einfaches Schreiben darstellten. Es sei erkennbar, dass diese automatisiert erstellt seien. Vorgerichtlich falle deshalb auch nur eine 0,3-Geschäftsgebühr nach Nr. 2301 VV RVG an. Diese Auffassung ist in mehrfacher Hinsicht unzutreffend. Sie unterscheidet nicht die Ebene des Auftragsverhältnisses und des Erstattungsverhältnisses, verkennt den Wortlaut der Bestimmung und übersieht, dass das Produkt nichts über den dahinterstehenden Aufwand aussagt.
Nach dem BGH kommt es im Abrechnungsverhältnis, d.h. im Vertragsverhältnis zwischen dem Gläubiger und dem Rechtsanwalt, allein auf den Auftrag und dessen Inhalt und nicht auf die tatsächlich ausgeführte Tätigkeit an. Das entspricht der einhelligen Auffassung in der Kommentarliteratur. Ist der Umfang des Auftrages geklärt, bedarf es auch keines Rückgriffs auf die Frage, ob der äußere Anschein für ein einfaches Schreiben spricht. Der Gläubiger ist auch in einfachen Fällen nicht unter dem Kostenminderungsgebot gehalten, nur ein einfaches Schreiben zu beauftragen.
Das ist auch sachgerecht, weil einem "äußerlich" einfachen Schreiben auch umfangreiche Vorprüfungen, zur Identität, zum Aufenthalt mit Adressnormierung, -verifizierung und -ermittlung, zum Einkommen, zum Vermögen, aber auch zum richtigen Anspruchsgegner und weiteren Mithaftenden, zur Bonität des Gegners und damit den Einziehungsmöglichkeiten und der Wahl der richtigen Beitreibungsstrategie, aber auch zum Anspruchsgrund, zur Anspruchshöhe und zur Abwehr von Einreden und Einwendungen vorausgehen kann. Auch ist für den Gläubiger aus der Ex-ante-Sicht nicht zu ersehen, dass sich der Auftrag mit einem einfachen Schreiben erledigen würde, wenn der Schuldner sich auf die Gläubigermahnungen einer Kontaktaufnahme verschlossen hat. Die Auffassung, aus dem Umfang des Schreibens lasse sich auf den Charakter als einfaches Schreiben schließen, steht deshalb weder im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch ist sie in der Sache gerechtfertigt. Letztlich wird der – einfache wie gewerbliche – Gläubiger auf die Beratung über die richtige Vorgehensweise angewiesen sein. Die Beratung ist aber Teil des Betreibens des gesamten Geschäftes und nicht des Auftrages über ein einfaches Schreiben.
Rz. 288
Hinweis
Unrichtig ist die Auffassung, dass der Gläubiger es dann in der Hand habe, den Umfang des Schadensersatzanspruches selbst zu bestimmen. Der Gläubiger bestimmt nämlich damit nur den Umfang seines Schadens. Ob dieser in voller Höhe zu ersetzen ist, ist mit der Feststellung, dass das Betreiben des gesamten Geschäftes beauftragt wurde und damit grundsätzlich eine 0,5–2,5-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG entsteht, nicht beantwortet.
Erst auf der Ebene der Schadensminderungspflicht ist zu fragen, ob der Gläubiger berechtigt war, statt eines einfachen Schreibens das Betreiben des gesamten Geschäftes zu beauftragen. Diese Frage war Gegenstand einer Entscheidung des BGH, der den umfassenden Auftrag für zulässig erachtet und dazu ausführt:
Zitat
"Dann ist die Beauftragung zur außergerichtlichen Vertretung aus der maßgeblichen Ex-ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person regelmäßig auch erforderlich, weil der Gläubiger bei Auftragserteilung nicht absehen kann, wie sich der Schuldner verhalten wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn dieser auf Mahnungen des Gläubigers nicht reagiert hat. Der Gläubiger ist deshalb grundsätzlich nicht gehalten, seinen Auftrag zunächst auf ein Schreiben einfacher Art zu beschränken und diesen im Bedarfsfall zu erweitern. Der Schuldner ist über den weiten Gebührenrahmen der Nr. 2300 RVG-VV, der am unteren Ende nah an die 0,3 Gebühr der Nr. 2302 RVG-VV a.F. heranreicht, ausreichend geschützt. Er allein hat es in der Hand, sich vertragstreu zu verhalten und auf diese Weise den materiellen Kostenerstattungsanspruch des Gläubigers gar nicht erst zur Entstehung gelangen zu lassen."
Dem stimmt die Kommentarliteratur zu. Die entgegenstehende Ansicht ist deshalb überholt. Der BGH hatte auch ausdrücklich in einem rechtlich einfach gelagerten Fall entschieden, in dem sich der Schuldner – wie regelmäßig bei der Erbringung von Inkassodienstleistungen – auf zwei Gläubigermahnungen nicht gemeldet hatte. Eine rechtliche Einzelbearbeitung war auch hier nicht notwendig. Die (erste) Tätigkeit des Rechtsanwaltes ging über die Anlage der Akte und ein einfaches Mahnschreiben mit Kostennote nicht hinaus. Gerade in diesen Fällen ist es Aufgabe des Rechtsdienstleisters – gleich ob Inkassodienstleister oder Rechtsanwalt – den Schuldner zur Kontaktaufnahme zu motivieren, um den Grund der Nichtleistung zu klären und dann eine gütliche Erledigung zum Forderungsausgleich zu suchen, wenn sich eine Vollzahlung nicht erreichen lässt. So kann sich für den Gläubiger wie den Schuldner bei vorüberge...