Rz. 169
Weiterhin keinen hinreichenden Eingang in die Rechtsprechung und Literatur haben Aspekte des Europäischen Rechtes gefunden. Lediglich in Großkommentaren zum BGB finden sich hier erste Ansätze. So bestimmte schon die Zahlungsverzugsrichtlinie aus dem Jahre 2000 in Art. 3 Abs. 1 Buchst. e:
Zitat
"Der Gläubiger hat gegenüber dem Schuldner Anspruch auf angemessenen Ersatz aller durch den Zahlungsverzug des Schuldners bedingten Beitreibungskosten, es sei denn, dass der Schuldner für den Zahlungsverzug nicht verantwortlich ist. Bei diesen Beitreibungskosten sind die Grundsätze der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf den betreffenden Schuldbetrag zu beachten. Die Mitgliedstaaten können unter Wahrung der genannten Grundsätze einen Höchstbetrag für die Beitreibungskosten für unterschiedliche Schuldhöhen festlegen."
Der nationale Gesetzgeber hat mit der Schuldrechtsreform zum 1.1.2002 darauf verzichtet, diese Bestimmung zum Anlass zu nehmen, die Verzugsvorschriften zu ändern. Gleichwohl mussten schon in der Vergangenheit die Verzugsvorschriften richtlinienkonform ausgelegt werden.
Rz. 170
So betont Ernst, dass
Zitat
"... die bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze zur Ersatzfähigkeit von Rechtsverfolgungskosten – … – und insbesondere diesbezügliche Einschränkungen sich also darauf überprüfen lassen müssen, ob sie mit der Richtlinie vereinbar sind. Fraglich sind insoweit die Einschränkungen hinsichtlich der Nichtentschädigung für eigene Bemühungen des Gläubigers, der Kosten eines Inkassobüros und ihrer Deckelung durch die Sätze des RVG."
Rz. 171
Andererseits führt Unberath aus, der eigene Aufwand sei auch bei richtlinienkonformer Auslegung nicht zu erstatten, weil es an der erforderlichen Transparenz fehle. Diese Auffassung scheint allerdings angreifbar, weil es zunächst dem Gläubiger obliegt, die bei ihm entstandenen Kosten transparent zu machen. Dies ist eine Frage des Einzelfalles. Dazu gibt der Gesetzgeber für die Schadenshöhe in § 287 ZPO die Möglichkeit der gerichtlichen Schätzung. Ungeachtet dessen sind die Kosten jedenfalls dann transparent, wenn der Gläubiger einen Inkassodienstleister oder einen Rechtsanwalt beauftragt, da er die Transparenz über die von dem Rechtsdienstleister in Rechnung gestellte Vergütung herstellen kann.
Rz. 172
Auch an anderer Stelle wird darauf hingewiesen, dass die Frage der richtlinienkonformen Auslegung von § 286 BGB noch Eingang in die Rechtsprechung finden muss. So führt etwa Heinrichs aus:
Zitat
"Ob nach dem Inkrafttreten der Richtlinie an dem Grundsatz festgehalten werden kann, dass dem Gläubiger für den Zeitaufwand zur Durchsetzung seines Anspruchs kein Schadensersatz zusteht, kann der Rechtsprechung überlassen bleiben; soweit es dabei um Forderungen geht, die in den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, wird dabei gemäß Art. 234 EGV der EuGH zu beteiligen sein."
Rz. 173
In der Zahlungsverzugsrichtlinie 2011 wurden diese Aspekte teilweise aufgegriffen und in den Erwägungsgründen 19 und 20 niedergelegt:
Zitat
"(19) Eine gerechte Entschädigung der Gläubiger für die aufgrund eines Zahlungsverzugs des Schuldners entstandenen Beitreibungskosten ist erforderlich, um von der Überschreitung der Zahlungsfristen abzuschrecken. In den Beitreibungskosten sollten zudem die aufgrund des Zahlungsverzugs entstandenen Verwaltungskosten und die internen Kosten enthalten sein; für diese Kosten sollte durch diese Richtlinie ein pauschaler Mindestbetrag vorgesehen werden, der mit Verzugszinsen kumuliert werden kann. Die Entschädigung in Form eines Pauschalbetrags sollte dazu dienen, die mit der Beitreibung verbundenen Verwaltungskosten und internen Kosten zu beschränken. Eine Entschädigung für die Beitreibungskosten sollte unbeschadet nationaler Bestimmungen, nach denen ein nationales Gericht dem Gläubiger eine Entschädigung für einen durch den Zahlungsverzug eines Schuldners entstandenen zusätzlichen Schaden zusprechen kann, festgelegt werden."
(20) Neben einem Anspruch auf Zahlung eines Pauschalbetrages für interne Beitreibungskosten sollte der Gläubiger auch Anspruch auf Ersatz der übrigen, durch den Zahlungsverzug des Schuldners bedingten Beitreibungskosten haben. Zu diesen Kosten sollten insbesondere Kosten zählen, die dem Gläubiger durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts oder eines Inkassounternehmens entstehen.“
Rz. 174
Dieser Erwägungsgründe haben dann in Art 6 der Richtlinie ihren normativen Ausdruck gefunden. Die Mitgliedstaaten stellen danach sicher, dass in Fällen, in denen gemäß Art 3 oder Art 4 im Geschäftsverkehr Verzugszinsen zu zahlen sind, der Gläubiger gegenüber dem Schuldner einen Anspruch auf Zahlung eines Pauschalbetrags von mindestens 40 EUR hat. Die Mitgliedstaaten haben dabei nach Art 6 Abs. 2 sicherzustellen, dass der genannte Pauschalbetrag ohne Mahnung und als Entschädigung für die Beitreibungskosten des Gläubigers zu zahlen ist. Diese Regelung findet sich in partiell in § 288 Abs. 5 BGB wieder, de...