Rz. 176
Ausgehend von der europäischen wie nationalen Gesetzeslage ist mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu fragen, welche Obliegenheiten den Gläubiger nach der Verkehrsauffassung im konkreten Fall entschädigungslos treffen. Das bestimmt sich nach der Üblichkeit, wobei im Rahmen vertraglicher Ansprüche zuvörderst auf die vertraglichen Bestimmungen und die in ihrem Kontext zu beachtenden gesetzlichen Vorschriften abzustellen ist. Dabei ist nicht mehr als die Rechnungstellung und die verzugsbegründende Mahnung – soweit vertraglich oder gesetzlich nicht entbehrlich – gefordert. Danach verstößt der Gläubiger nicht gegen seine Eigenobliegenheiten, wenn er einen Rechtsdienstleister in Form eines Rechtsanwaltes oder eines Inkassodienstleisters beauftragt.
Die Rechtsentwicklung nach der Entscheidung des BGH von 1976 belegt, dass jedenfalls heute grundsätzlich von einer Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten ausgegangen werden muss, soweit der Gläubiger nach der Rechnungsstellung den Verzugseintritt hergestellt hat und dabei dem Schuldner verdeutlicht wurde, dass bei einer fortgesetzten Nichtleistung die Hilfe eines Rechtsdienstleisters, sei es ein Rechtsanwalt oder ein Inkassodienstleister, in Anspruch genommen wird, was weitere Kosten verursachen wird. Damit hat er das seinerseits Erforderliche getan. Zwischen der Beauftragung von Rechtsanwalt und Inkassodienstleister ist dabei nicht mehr zu differenzieren, nachdem verfassungsrechtlich wie höchstrichterlich anerkannt ist, dass auch Inkassodienstleister Rechtsdienstleistungen erbringen und dafür hinreichend qualifiziert sind. Es kommt nicht darauf an, welcher der Rechtsdienstleister beauftragt wird und etwas tut, sondern was zulässigerweise getan wird.
Die Praxis zeigt nicht, dass je nach Einzelfall mehr als ein bis zwei Mahnungen der Üblichkeit entsprechen. Vielmehr zeigt das Wirtschaftsleben inzwischen die gesamte Bandbreite der Möglichkeiten des § 286 BGB, für eine oder mehrere ausdrückliche Mahnungen nach § 286 Abs. 1 BGB oder die Nutzung des Verzugseintrittes nach § 286 Abs. 2 und 3 BGB ohne ausdrückliche Mahnung wie der Selbstmahnung durch die ernsthafte Erfüllungsverweigerung, wie etwa bei einer Rücklastschrift. Dabei bewegen sich (auch) die Gläubiger durchaus in einem Spannungsfeld. Einerseits sind Unternehmen auf eine hinreichende Liquidität und damit auf einen zeitnahen Forderungsausgleich angewiesen. Andererseits wollen sie ihr Forderungsmanagement auch kundenerhaltend und kundengewinnend ausgestalten, so dass eher eine Tendenz besteht mehr und motivierend kaufmännisch zu mahnen. In diesem Spannungsfeld wird die Nachdrücklichkeit des Forderungseinziehungsprozesses durchaus differenziert gestaltet.
Hinweis
Eine andere Sicht der Dinge vernachlässigt, dass der Schuldner seine Pflichten verletzt hast und es in erster Linie ihm obliegt, mit dem Gläubiger in Kontakt zu treten, um die Gründe für seine Nichtleistung zu erklären und ausgehend hiervon eine Lösung zu suchen. Eine Kommunikation ist weder zu viel verlangt noch stellt es sich als eine Maßnahme wider den Schuldner- oder gar Verbraucherschutz dar.
Bei den bereits entschiedenen Fällen muss differenziert werden, ob es sich um vertragliche oder deliktische Ansprüche handelt. Bei den deliktischen Ansprüchen gehört es jedenfalls in einfach gelagerten Fällen zu den Obliegenheiten des Gläubigers, den Schaden zu bestimmen und diesen erstmals gegenüber dem Schädiger geltend zu machen und eine angemessene Frist auf die Zahlung zu warten. Bei den vertraglichen Pflichtverletzungen hat der Gläubiger dagegen das ihm Obliegende getan, wenn er den Schuldner in Verzug gesetzt und auf die Kosten der weitergehenden Forderungsbeitreibung durch einen Rechtsdienstleister hingewiesen hat.
Rz. 177
Mangels anderer vertraglicher Abreden muss der Gläubiger also
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die Rechnung für seine Leistung erstellen, |
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die Fälligkeit – im Regelfall nach § 271 BGB – begründet haben, |
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den Verzugseintritt nach § 286 Abs. 1, Abs. 2 oder Abs. 3 BGB herstellen und |
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letztlich nach § 254 Abs. 2 BGB den Schuldner "auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen". Dem ist mit dem Hinweis auf die Abgabe an einen Rechtsdienstleister ohne fristgerechte Erfüllungshandlung Rechnung getragen. Damit ist zugleich gesichert, dass den Schuldner auch in den Fällen, in denen eine Mahnung zur Begründung des Verzuges entbehrlich ist, ihn zumindest eine Mahnung erreichen muss, wenn diese nicht unmöglich oder unzumutbar ist. |
Für weitergehende Obliegenheiten fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Mit den Worten des BGH: Mehr ist nicht üblich.
Rz. 178
Wie dargestellt verlangt weder die historische noch die aktuelle Rechtsprechung des BGH, dass der Gläubiger seine Unternehmensorganisation so ausrichtet, dass er die weitere – überobligatorische – Forderungseinziehung trotz der Pflichtverletzung des Schuldners selbst und ohne weitere Kostenlast für den Schuldner selbst leisten kann. Eine solche Verpflichtung ...