Rz. 213
Unter Hinweis auf die schon angesprochene Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 9.3.1976 wird argumentiert dass es zum eigenen Pflichtenkreis eines Gläubigers gehöre, sich um die Verwirklichung seiner Rechte selbst zu kümmern und erst dann, wenn er angesichts der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Angelegenheit nach seinen persönlichen Fähigkeiten nicht mehr in der Lage ist, seine Rechte sachgerecht selbst wahrzunehmen, berechtigt ist, die Kosten der Einschaltung einer fachkundigen dritten Person als zur Rechtsverfolgung erforderlichen Aufwand geltend zu machen. Das Versenden von Mahnungen stelle eine einfache kaufmännische Tätigkeit dar, die zum Pflichtenkreis des Gläubigers gehöre.
Rz. 214
Diese Aussagen vermischen verschiedene rechtliche Ansatzpunkte und können in der Begründung wie im Ergebnis nicht überzeugen. Sie knüpfen an die Ausführungen zu der Frage an, ob Großgläubiger einen Rechtsdienstleister beauftragen können und sind insoweit bereits oben abgehandelt.
Die Vertreter dieser Auffassung übersehen, dass der BGH 1976 allein die Frage entschieden hat, ob die in seinem Fall Geschädigte einer unerlaubten Handlung, d.h. außerhalb des Vertragsrechtes, die Eigenkosten für Personal- und Sachaufwand ersetzt verlangen kann, wenn sie ihren Schaden zunächst einmal feststellt und dem Schädiger diesen aufgibt. Allein dies hat der BGH verneint, weil er die Tätigkeiten noch der Schadensermittlung – und Geltendmachung, nicht aber der Schadensbeseitigung zugeordnet hat.
Für das Deliktsrecht war bis dahin nicht geklärt, welche Obliegenheiten der Gläubiger im Hinblick auf die Beseitigung des Schadens zu erfüllen hat. Abweichendes ist demgegenüber für vertragliche Ansprüche feststellbar, wo die Obliegenheiten den vertraglichen Vereinbarungen und ergänzenden gesetzlichen Regelungen in §§ 280, 286, 254 BGB folgen. Der Gläubiger muss danach seine Leistung in der Weise erbringen, dass die vom Schuldner zu erbringende Gegenleistung fällig ist. Er muss dann bei Entgeltforderungen seine Leistungen in Rechnung stellen. Damit sind die sich aus dem Vertragsverhältnis ergebenden unmittelbaren Eigenobliegenheiten des Gläubigers vollständig umschrieben. Diese Obliegenheiten erweitern die §§ 280, 286 BGB, wenn sie einen Schadensersatzanspruch nur unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen gewähren. Wer eine darüberhinausgehende Obliegenheit des Gläubigers manifestieren will, muss dafür den rechtlichen Anknüpfungspunkt nennen. Hieran fehlt es.
Zu denken wäre einerseits an Treu und Glauben nach § 242 BGB. Kommt der Schuldner wider seiner vertraglichen Verpflichtungen aber der eigenen Leistungspflicht nicht nach, kann er vom Gläubiger kaum nach Treu und Glauben verlangen, dass dieser Einziehungsmaßnahmen selbst vornimmt und die dafür erforderlichen personellen und sachlichen Aufwendungen trägt. Dies muss erst recht gelten, wenn er seine Leistungshindernisse nicht einmal dem Gläubiger kommuniziert, so dass er ein Zuwarten in der Beauftragung des Rechtsdienstleisters rechtfertigen kann. All das war Gegenstand der vorstehenden Darstellung.
Die Frage, ob die Geschädigte ungeachtet des vorhandenen eigenen Personals statt der eigenen Schadenssachbearbeitung auch einen Rechtsanwalt oder einen Inkassodienstleister hätte beauftragen können, war weder Gegenstand der Entscheidung des BGH noch hat er sich zu dieser Frage in der Entscheidung geäußert. Wie bereits dargestellt, hatte er aber schon 1969 entschieden, dass in der Regel niemand gehalten ist – auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht – derartige Arbeiten, soweit sie Dritten übertragen werden können, selbst auszuführen.
Rz. 215
Auch die Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 BGB taugt als Grundlage der Argumentation nicht, da dem Gläubiger regelmäßig weder die rechtlichen noch die tatsächlichen Kenntnisse und Möglichkeiten zur Verfügung stehen, mit denen ein Rechtsanwalt oder ein Inkassodienstleister arbeitet, und solche Kapazitäten auch nicht schaffen muss. Es ist auch widersprüchlich, den Inkassodienstleistern trotz einer beruflichen Grundausbildung, des aufsetzenden Sachkundelehrgangs und einer mindestens zweijährigen, meist aber langjährigen Berufserfahrung die notwendige Qualifikation abzusprechen, zugleich aber von dem Gläubiger zu verlangen, die Tätigkeit selbst auszuführen. Das moderne Forderungsmanagement besteht nicht allein in der einfachen schriftlichen Mahnung des Schuldners, sondern ist weitaus differenzierter zu betrachten. Zu nennen sind nach einem breiten Spektrum von Arbeiten zur Anlage einer Akte von der Übernahme mittels Schnittstelle, elektronischen Kommunikationsmitteln oder auch manuell, die folgenden Identitätsprüfungen und Adressnormierungen, -verifizierungen und -ermittlungen unter den besonderen Rahmenbedingungen des mit der DSGVO sehr viel komplexeren Datenschutzes. Das setzt sich in der Ermittlung und Bearbeitung der Gründe fort, die Ursache für den mangelnden Forderungsausgleich sein kö...