Rz. 159
Für die Praxis darf der Wertungswiderspruch einer anderen Sicht der Dinge nicht übersehen werden. Einerseits wird dem Gläubiger das Recht abgesprochen, die Kosten des eigenen Personaleinsatzes bei der Bemessung vorgerichtlicher Mahngebühren zu berücksichtigen. Anderseits soll aber gerade der Umstand, dass er über im kaufmännischen Mahnwesen ausgebildetes Personal verfügt, dazu führen, dass ihm nicht nur das Recht abgesprochen wird, nach kaufmännischen Mahnungen einen Rechtsdienstleister einzuschalten, sondern zugleich auch noch die Pflicht überobligatorischer Leistungen auferlegt werden kann. Dabei bleibt, soweit ersichtlich, noch völlig außer jeder Betrachtung, dass der Gläubiger sein kaufmännisches Personal eben gerade nicht für die überobligatorische Forderungseinziehung vorhält, sondern für die ihm obliegende Feststellung und erste Geltendmachung des Anspruches, sowie die obligatorische Begründung des Verzuges. Noch schreiben die Gerichte nicht den Inhalt der Arbeitsverträge nebst Stellenbeschreibung. Es ginge sicher zu weit, von ihm die Einstellung von kaufmännischem Personal eben zu diesem Zweck überobligatorischer Leistungserbringung zu verlangen. Es wäre dann auch nicht zu begründen, warum dies wettbewerbsverzerrend nur für "Großunternehmen" gelten soll, aber nicht für alle anderen mittleren und kleineren Unternehmen, die – ohne weniger profitabel als große Unternehmen zu sein – in gleicher Weise Einstellungen vornehmen könnten. Wo eine hinreichende Abgrenzung zwischen großen, mittleren und kleinen Unternehmen liegen soll, bleibt gänzlich diffus.
Rz. 160
Wagner hat in einer Anmerkung zu der Entscheidung des AG Dortmund zutreffend darauf hingewiesen, dass auch in anderen Fällen, etwa bei Abmahnungen im Urheber- oder Wettbewerbsrecht, standardisierte Mahnschreiben versandt werden, ohne dass die Rechtsprechung in Zweifel zieht, dass die Einschaltung einer "Großkanzlei" notwendig und deshalb die angefallenen Abmahnkosten erstattungsfähig sind. Er weist damit letztlich auf einen Kernpunkt hin: Der Gesetzgeber hat den Rechtsdienstleistern, d.h. Rechtsanwälten und registrierten Inkassodienstleistern, die außergerichtliche Interessenwahrnehmung erlaubt. Die diesbezüglichen Erstattungsregelungen, wie §§ 280, 286 BGB für den Verzug oder §§ 823 Abs. 1 und 2, 826 BGB für die Fälle der unerlaubten Handlung, sehen vor, dass ein durch die schädigende Handlung kausal verursachter Schaden ersetzt werden muss. Einzig die Schadensminderungspflicht kann hier Grenzen begründen. Das ist auch sachgerecht, weil eine unmittelbare Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe mit einer nachfolgenden Zwangsvollstreckung nicht nur den Elementen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens als Zweck des modernen Rechtsstaates widersprechen würde, sondern den Schuldner sowohl hinsichtlich der Kosten als auch der Brandmarkung als Schuldner weit härter trifft. Außer Betracht bleibt auch, dass aus dem Produkt (Schreiben) nicht auf die damit verbundenen Vorbereitungen wie die datenschutzkonforme Übernahme der Daten, Identitätsprüfungen und/oder Adressnormierungen, -verifizierungen und -ermittlungen, die Kategorisierung des Anspruchs mit einer Schlüssigkeitsprüfung, die Erfüllung vielfacher Hinweis- und Informationspflichten usw. geschlossen werden darf. Schließlich müssen dann auch Ressourcen für die Nachbearbeitung von der Schuldnerreaktion bis zur Zahlungseingangsverarbeitung und Abrechnung vorgehalten werden.