Rz. 446
Inkassodienstleister ziehen nicht nur Forderungen für einen Gläubiger in dessen Namen oder aufgrund einer treuhänderischen Abtretung für den Gläubiger auf dessen Rechnung ein, sondern sie kaufen auch Forderungen, um diese dann im eigenen Namen beizutreiben. Sie leisten insoweit einen Beitrag zur Sicherung der Liquidität der deutschen Wirtschaft und der Stabilität der Unternehmensfinanzierung im Einzelfall. Es bedarf keiner näheren Erläuterungen, dass dies die Frage aufwirft, ob auch in diesem Fall die Kosten der Einziehung vom Schuldner zu erstatten sind.
Rz. 447
Dabei ist zunächst festzuhalten, dass zwei Grundformen des Forderungskaufes festzustellen sind.
Rz. 448
Der Kernbereich des Forderungskaufes liegt im Erwerb von notleidenden Forderungen, d.h. von Forderungen, bei denen der Gläubiger trotz der Rechnungsstellung und zumindest einer verzugsbegründenden, wenn nicht gar weiteren Mahnungen keine Befriedigung seiner Forderung erreichen konnte. Dabei hat die Praxis des Forderungskaufes sich früher sogar auf Forderungen beschränkt, die bereits tituliert und einmal "durchvollstreckt" waren. Erst in den letzten Jahren sind allerdings vermehrt auch immer jüngere Forderungen, d.h. notleidende nicht titulierte Forderungen und sogar Forderungen, bei denen noch kein Verzug vorlag, Gegenstand von Forderungskaufverträgen geworden. Das hat seinen Grund darin, dass die Wirtschaft versucht, ihre Bilanz nicht mit Fremdfinanzierungen zu belasten, sondern nicht ausgeglichene Forderungen schnell zu realisieren, um so die eigene Liquidität zu stärken. Die EU ist mit der Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates über Kreditdienstleister, Kreditkäufer und die Verwertung von Sicherheiten gerade im Begriff gekündigte (NLP) und ungekündigte Kredite verstärkt verkehrsfähig zu machen, um genau diesen Zwecken zu dienen und den Forderungsausfall nicht zum Wirtschaftshindernis werden zu lassen. Im Juni 2021 haben sich gerade EU-Parlament und der Rat über die Einzelheiten geeinigt.
Rz. 449
Mit dem Kaufvertrag geht die Abtretung der Forderungen an den Inkassodienstleister oder eine kooperierende Kaufgesellschaft, die nicht selten im Sinne von § 15 AktG verbunden ist, einher. In diesem Fall kann von einem "unechten" Konzerninkasso gesprochen werden, weil die Forderung nicht bei dem Inkassodienstleister, der kooperierenden Kaufgesellschaft oder sonst nach § 15 AktG verbundenen Unternehmen entstanden ist. Anders als bei der treuhänderischen Abtretung im Sinne des § 2 Abs. 2 RDG liegt nun aber eine Vollabtretung vor, d.h. die weitere Beitreibung erfolgt auf das wirtschaftliche Risiko und die Rechnung des Inkassodienstleisters oder der kooperierenden Kaufgesellschaft als neuer Gläubigerin. Der Kaufpreis stellt sich in der Praxis als ein prozentualer Anteil am Nennwert der Forderung dar. Die konkrete Höhe ist davon abhängig, welche Einziehungsmaßnahmen der ursprüngliche Gläubiger und Verkäufer bereits unternommen hat. Je größer diese Anstrengungen waren, umso niedriger ist der Kaufpreis.
Rz. 450
Zunehmend wird der Handel mit Forderungen also auch als Teil der Unternehmensfinanzierung, insbesondere als Mittel zur Herstellung von Liquidität verstanden. In diesem Sektor werden Factoringverträge geschlossen, die unterschiedliche Ausgestaltungen zeigen. Kern dieser Geschäfte ist es, dass der Unternehmer seine zukünftigen Forderungen gegen Kunden im Wege der Globalzession auf das Inkasso- oder Finanzierungsunternehmen (Factor) überträgt. Wird eine Forderung begründet, zahlt der Factor dem Gläubiger den Forderungsbetrag unmittelbar abzüglich seiner Provision aus, so dass der Gläubiger als Unternehmer schnelle Liquidität erlangt. Im Gegenzug übernimmt nun der Factor den Forderungseinzug zunächst im debitorischen Einziehungsprozess. In Abhängigkeit von der Frage, ob der Unternehmer (Gläubiger) oder der Factor das Risiko des Forderungseinzuges trägt, handelt es sich schwerpunktmäßig um einen Darlehens- oder einen Kaufvertrag. Entsprechend dem jeweiligen Risiko bestimmt sich dann auch die Höhe der Provision des Factors. Man spricht vom unechten oder echten Factoring.
Rz. 451
Unterschiedlichen Gestaltungen unterliegt dann auch die Frage, wie verfahren wird, wenn die im Factoring abgetretene Forderung notleidend wird, d.h. der Kunde als Schuldner seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Hier ist, insbesondere in der Variante des Darlehensvertrages denkbar, dass eine Rückabtretung an den Ursprungsgläubiger – meist nach einer vertraglich vereinbarten Frist – erfolgt, der dann die weitere Forderungseinziehung an einen Rechtsdienstleister abgibt. Denkbar ist aber auch, dass der Factor auch in diesem Fall die Einziehung mit kooperierenden Rechtsdienstleistern fortsetzt. Dann stellt sich auch die Frage nach dem Ersatz der Kosten, die nun nach dem Verzugseintritt entstehen.
Rz. 452
Während also beim Forderungskauf durch den Inkassodienstleister der Verzug zum Zeitpunkt der Abtretung der Forderung schon vorliegt, s...