Rz. 174
Die Neuregelung des § 714 BGB regelt – in Abgrenzung zur Geschäftsführung (vgl. § 715 BGB) – die Grundlagen der gesellschaftsinternen Willensbildung und Entscheidungsfindung durch Beschlussfassung (wohingegen § 714 BGB alt die Vertretungsmacht geregelt hat):
Gesellschafterbeschlüsse bedürfen der Zustimmung aller stimmberechtigten Gesellschafter.
Rz. 175
Die Regelungsbereiche des § 714 BGB (Beschlussfassung) und der §§ 715, 715a und 715b BGB (Geschäftsführungsbefugnis, Notgeschäftsführungsbefugnis und Gesellschafterklage) vollziehen die Verselbstständigung der Geschäftsführung der GbR gegenüber der Willensbildung und Entscheidungsfindung ihrer Gesellschafter, was zu einer Trennung der Beschlusskompetenz der Gesellschafter von der Geschäftsführungskompetenz der Geschäftsführer (ohne inhaltliche Änderung der traditionellen Unterscheidung zwischen Geschäftsführung und Beschlussfassung) führt.
Rz. 176
Geschäftsführung ist jede zur Förderung des Gesellschaftszwecks bestimmte, für die Gesellschaft wahrgenommene Tätigkeit mit Ausnahme solcher Maßnahmen, die die Grundlagen der Gesellschaft betreffen (sog. Grundlagengeschäfte).
Rz. 177
Im Unterschied dazu dient der Gesellschafterbeschluss der Gestaltung des Gesellschaftsverhältnisses im Rahmen
▪ |
von Grundlagengeschäften und |
▪ |
außergewöhnlichen Geschäftsführungsmaßnahmen, ebenso wie im Kontext |
▪ |
gewöhnlicher Geschäftsführungsmaßnahmen, sofern hier
▪ |
eine entsprechende Beschlussfassung gesellschaftsvertraglich vereinbart oder |
▪ |
nach Maßgabe von § 714 BGB beschlossen worden ist. |
|
Rz. 178
Die Beschlussfassung nach der dispositiven Norm des § 714 BGB muss grundsätzlich einstimmig (Zustimmung aller stimmberechtigter Gesellschafter) erfolgen (Einstimmigkeitsprinzip). Davon kann durch
▪ |
eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung (§ 708 BGB, gesellschaftsvertragliche Gestaltungsfreiheit zwecks einer erleichterten und flexibleren Entscheidungsfindung mit korrespondierender Handlungsfähigkeit der Gesellschaft – mehrheitliche Beschlussfassung, wobei sich im Falle einer Mehrheitsklausel die Mehrheit grundsätzlich nach der Gesamtheit der gemäß § 714 BGB stimmberechtigten Gesellschafter bestimmt) und |
▪ |
ggf. auch durch Stillschweigen (z.B. durch stetiges Dulden von Mehrheitsbeschlüssen) |
abgewichen werden.
Beachte:
Im Falle einer gesellschaftsvertraglichen Mehrheitsklausel kommt, wenn im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart worden ist, der Beschluss mit einfacher Stimmenmehrheit der stimmberechtigten Gesellschafter zustande. Die Stimmkraft beurteilt sich nach § 709 Abs. 3 BGB, d.h. (sofern nichts anderes vereinbart ist) nach den Beteiligungsverhältnissen (mithin dem vereinbarten Wert der Beiträge [Kapitalbeiträge], ohne dass es auf deren wirklichen Wert ankommt).
Rz. 179
Grundsätzlich hat jeder Gesellschafter ein Stimmrecht. Etwas anderes gilt im Falle eines Stimmrechtsausschlusses, wenn dem Gesellschafter
▪ |
aus besonderen gesetzlichen Gründen (vgl. § 715 Abs. 5 S. 1 [Geschäftsführungsbefugnis], § 720 Abs. 4 [Vertretungsbefugnis] bzw. § 727 BGB [Ausschluss aus der Gesellschaft]) oder |
▪ |
wegen einer gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung |
das Stimmrecht entzogen worden ist. Gleichermaßen soll ein allgemeines Prinzip des Stimmrechtsausschlusses in "Fällen vergleichbar schwerwiegender Interessenkollision" (bspw. Befreiung von einer Verbindlichkeit oder Einleitung eines Rechtsstreits gegen den betroffenen Gesellschafter) bestehen: Der Gesellschafter soll nicht "Richter in eigener Sache" sein. Dann bleibt seine Stimme bei der Beschlussfassung außer Betracht.
Rz. 180
Der Gesetzgeber hat im Übrigen von einer gesetzlichen Regelung zum Stimmverbot abgesehen, "weil dies nur zu einer misslichen Kasuistik führen würde", und die Frage einer Klärung durch die Rechtsprechung überlassen, "ob für einen Beschluss über den Abschluss eines Rechtsgeschäfts mit dem betroffenen Gesellschafter das Stimmverbot nach § 34 BGB, § 47 Absatz 4 GmbHG entsprechend gilt". Ob aus den Regelungen in § 715 Abs. 5 S. 1 BGB (Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis), § 720 Abs. 4 BGB (Entziehung der Vertretungsbefugnis) bzw. § 727 S. 1 BGB (Ausschließung aus der GbR) ein allgemeines Prinzip (Stimmverbot) geschlossen werden kann (vergleichbar schwerwiegender Interessenkonflikt), "bleibt abzuwarten".