Dipl.-Kfm. Michael Scherer
Rz. 127
Nach § 15 Absatz 2 RVG darf der RA die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Hat beispielsweise der RA von Anfang an den unbedingten Auftrag, eine Forderung einzuklagen, so wird er zunächst versuchen, die Forderung mittels eines anwaltlichen Aufforderungsschreibens einzufordern. Erst nachdem der vorherige außergerichtliche Versuch, die Forderung beizutreiben, erfolglos verlaufen ist, wird er die Klage einreichen. In diesem Fall ist die auftragsgemäße Beitreibung der Forderung auf dem Klageweg eine einzige Angelegenheit. Für das zuerst erstellte Aufforderungsschreiben mit Klageauftrag erhält der RA keine besonderen Gebühren, da es mit zur Vorbereitung der später eingereichten Klageschrift zählt. Dies wird auch durch § 19 Abs. 1 Ziff. 1 RVG ausdrücklich so angeordnet.
Beispiel:
Ein RA fertigt auftragsgemäß ein Aufforderungsschreiben, wobei er bereits unbedingten Klageauftrag hat. Da das Aufforderungsschreiben schon zur Vorbereitung der Klage gehört, könnte er hierfür eine Verfahrensgebühr nach den §§ 2, 13 RVG, Nr. 3100 VV RVG beanspruchen, die ihm jedoch nach der besonderen Vorschrift des Nr. 3101 Ziff. 1 VV RVG dann nur als eine 0,8 Verfahrensgebühr erwächst, wenn der Schuldner vor Einreichung der Klageschrift zahlt.
Falls der Schuldner dagegen nicht zahlt und die Klage eingereicht wird, entsteht hierfür die 1,3 Verfahrensgebühr nach den §§ 2, 13 RVG, Nr. 3100 VV RVG und das Aufforderungsschreiben wird dann als Vorbereitungstätigkeit nicht gesondert berechnet.
Rz. 128
Dass die Gebühren in einer Angelegenheit nur einmal entstehen können, ist sicherlich nicht schwer zu verstehen. Was jedoch eine Angelegenheit ist, ist schon nicht mehr so einfach zu erklären. Der BGH hat einmal den Begriff der Angelegenheit so definiert:
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Eine Angelegenheit ist der Rahmen, innerhalb dessen sich die anwaltliche Tätigkeit abspielt, wobei in der Regel der dem Anwalt erteilte Auftrag entscheidend ist. |
Rz. 129
Eine Angelegenheit kann durchaus mehrere Gegenstände umfassen, falls der erteilte Auftrag mehrere Gegenstände einbezieht. So können z. B. in einer Klage (= Angelegenheit) eine Kaufpreisforderung und eine Schadenersatzforderung (= zwei Gegenstände) geltend gemacht werden.
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Als Gegenstand sieht man das Recht oder Rechtsverhältnis, auf das sich die anwaltliche Tätigkeit aufgrund des Auftrages bezieht. |
Rz. 130
Da das RVG den Begriff der Angelegenheit nicht definiert, hat man in der Rechtsprechung versucht, das Vorliegen einer Angelegenheit an drei Voraussetzungen zu knüpfen:
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Eine Angelegenheit liegt vor, wenn ein einheitlicher Auftrag besteht. |
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Bei Verfolgung mehrerer Gegenstände muss der gleiche Rahmen eingehalten werden; es werden also z. B. mehrere Gegenstände in einer Klage oder in einem Aufforderungsschreiben geltend gemacht. |
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Bei verschiedenen Gegenständen muss ein innerer Zusammenhang zwischen den Gegenständen bestehen; so können z. B. mehrere Unfallopfer wegen desselben Verkehrsunfalls ihre unterschiedlichen Schadenersatzansprüche in einer Klage geltend machen. |
Hieraus ergeben sich folgende Überlegungen: Wird eine Klage nach Einreichung abgeändert, so ist der Rechtsstreit auch nach der Änderung noch dieselbe Angelegenheit. Dagegen liegt eine neue Angelegenheit vor, wenn eine bereits eingereichte Klage zurückgenommen und später neu erhoben wird, da mit der Zurücknahme der erste Auftrag erledigt war.
Beispiel:
RA Nimm erhält Klageauftrag. Nachdem er die Klageschrift eingereicht hat, nimmt der Auftraggeber, Herr Angst, den Klageauftrag zurück, worauf RA Nimm die Klage auftragsgemäß zurücknimmt. Die Sache ist damit erledigt. RA Nimm berechnet eine 1,3 Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) und eine Auslagenpauschale.
Später ruft der Angst an, und bittet, die Klage erneut einzureichen, da er sich jetzt sicher sei, den Prozess zu gewinnen. RA Nimm berechnet ein zweites Mal eine 1,3 Verfahrensgebühr und eine Auslagenpauschale.
Wird dagegen ein Rechtsmittel zurückgenommen, z. B. weil Zweifel an der Zulässigkeit des Rechtsmittels entstanden sind, und danach das Rechtsmittel nach Ausräumung der Zweifel innerhalb der Rechtsmittelfrist erneut eingelegt, so liegt nur eine Angelegenheit vor. So sieht das die Rechtsprechung, denn solange noch Zweifel bestehen, ist der dem RA erteilte Auftrag noch nicht erledigt.
Rz. 131
Zwei Angelegenheiten liegen ferner vor, wenn in einer Verkehrsunfallsache der RA sich zuerst an die Kaskoversicherung des Geschädigten und später an die Haftpflichtversicherung des Unfallschuldigen wendet, da hier verschiedene Anspruchsgegner vorliegen. Andererseits handelt es sich um nur eine Angelegenheit, wenn sich die Verhandlungen mit der Haftpflichtversicherung über mehrere Jahre hinziehen, oder wenn der Geschädigte als Auftraggeber des RA zuerst nur Sachschaden und später auch noch Schmerzensgeld von der Haftpflichtversicherung fordert.
Hinweis:
Umstritten ist, ob die Einholung einer Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung durch den RA gebührenrechtlich eine besondere Angelegenheit ist. Der...