Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 326
Nach Art. 39 Abs. 1 ErbVO werden Entscheidungen anerkannt, nach Art. 59 Abs. 1 ErbVO werden öffentliche Urkunden angenommen. Z.T. wird daraus – vorsichtig – gefolgert, dass der nationale Erbnachweis unter Geltung der ErbVO in allen Mitgliedstaaten anzuerkennen ist, z.T. wird dagegen vertreten, dass eine Anerkennung ipso iure ausscheiden soll.
Rz. 327
Sofern es sich bei dem Erbnachweis um ein gerichtliches Zeugnis handelt (wie beim deutschen Erbschein), läge eine Entscheidung im Sinne des Art. 39 Abs. 1 ErbVO vor; handelt es sich dagegen z.B. um eine Bescheinigung eines Notars, käme eine Anerkennung über Art. 59 Abs. 1 ErbVO in Betracht.
Rz. 328
Da der nationale Erbnachweis und das ENZ nur auf Antrag erteilt werden, die Berechtigten es also in der Hand haben, beide Nachweise zu beantragen, geht es nicht darum, welchen Nachweises sie sich bedienen wollen, sondern vor allem um die Frage, ob sich der Rechtsverkehr mit einem nationalen Erbnachweis eines anderen Mitgliedstaats begnügen muss oder ob er auf der Vorlage eines ENZ bestehen kann.
Rz. 329
Es spricht viel dafür, dass die Vorlage eines ENZ immer verlangt werden kann, wenn sich die Erbfolge nach ausländischem Recht richtet. Selbst wenn man von der grundsätzlich vorgeschriebenen Anerkennung des nationalen Erbnachweises EU-weit ausgeht, muss es dem Rechtsverkehr möglich sein, die Vorlage des ENZ zu verlangen; schon allein deshalb, weil der inländische Rechtsverkehr die Wirkungen des ausländischen nationalen Erbnachweises in aller Regel nicht kennt, wohl aber zukünftig – nach Anwendbarkeit der ErbVO ab 17. August 2015 – die Wirkungen des ENZ, die diesem von der ErbVO und damit einheitlich verliehen werden.
Rz. 330
Der ausländische nationale Erbnachweis kann also die Vorlage des ENZ in diesem Sinne nicht ersetzen bzw., derjenige, der sich auf den nationalen Erbnachweis verlässt statt auf das ENZ handelt auf eigene Gefahr.
Rz. 331
Die umgekehrte Frage, ob über das ENZ hinaus andere Nachweise verlangt werden können, behandelt Erwägensgrund 69, danach sollte ein anderer Nachweis nicht verlangt werden können, wenn das ENZ vorgelegt wird, welches von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wurde.
Die Frage also, ob in Deutschland an Stelle des vom deutschen Nachlassgericht ausgestellten ENZ darüber hinaus ein deutscher Erbschein verlangt werden kann, wird von der ErbVO nicht behandelt.
Wegen der unterschiedlichen Wirkungen des deutschen Erbscheins im Vergleich zum ENZ (öffentlicher Glaube/guter Glaube, vgl. hierzu unten Rn 382 ff.) kann dem inländischen Rechtsverkehr jedenfalls nicht pauschal verwehrt werden, über das in Deutschland erteilte ENZ hinaus den deutschen Erbschein zu verlangen. Dies muss zumindest für den privaten Rechtsverkehr gelten.
Rz. 332
Davon ist die Frage zu unterscheiden, ob sich die Zuständigkeit der deutschen Gerichte zur Erteilung eines deutschen Erbscheins zukünftig ausschließlich nach Artt. 4 ff. ErbVO richtet, oder ob sich die Internationale Zuständigkeit daneben auch aus nationalen Verfahrensrecht ergeben kann wie es das deutsche Recht vorsieht. (vgl. dazu Rn 24).