Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 247
Hat der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat, so sind nach der Grundregel des Art. 4 ErbVO die Gerichte in diesem Staat zuständig und müssen nun das (gewählte) Heimatrecht des Erblassers anwenden und damit ein fremdes Recht (sofern das gewählte Heimatrecht sich nicht mit Recht des gewöhnlichen Aufenthalts deckt).
a) Der Erblasser hat das Recht eines Drittstaates gewählt
Rz. 248
Ist das gewählte Heimatrecht nicht das Recht eines Mitgliedstaates, bleibt es bei der Zuständigkeit nach Art. 4 ErbVO, das EU-Gericht am gewöhnlichen Aufenthalt ist zuständig und hat in der Sache das Recht des Drittstaates (ohne Rück- und Weiterverweisungen, vgl. Art. 34 Abs. 2 ErbVO) anzuwenden; der (an sich) angestrebte und gewünschte Gleichlauf zwischen Zuständigkeit und anwendbaren Recht wird (ohne Heilungsmöglichkeit) durchbrochen.
Eine Abgabemöglichkeit an die Gerichte des Drittstaates ist von der ErbVO nicht vorgesehen; eine solche Regelung wäre auch verfehlt, weil die EU nicht über die Zuständigkeit in Drittstaaten zu befinden hat.
Rz. 249
Eine Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten kann sich in Fällen, in denen der Erblasser das anwendbare Recht gewählt hat – ohne gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers in einem Mitgliedstaat – auch über Art. 10 ErbVO ergeben, denn insofern kommt es nicht darauf an, ob der Erblasser eine Rechtswahl getroffen hatte oder nicht. Ein über Art. 10 ErbVO zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats hat ebenfalls in der Sache das gewählte Recht des Drittstaates anzuwenden. Gleiches gilt wenn sich die Zuständigkeit eines Mitgliedstaats (ausnahmsweise) nach Art. 11 ErbVO bemisst.
b) Der Erblasser hat das Recht eines EU Mitgliedstaates gewählt
Rz. 250
Zu dem erstrebten Gleichlauf zwischen Zuständigkeit und anwendbaren Rechts kann es aber trotz Auseinanderfallens des Rechts am gewöhnlichen Aufenthalt und dem gewählten Heimatrecht über Art. 5 ErbVO kommen. Voraussetzung dafür ist zunächst, dass das gewählte Recht (Art. 22 ErbVO) das eines Mitgliedstaats ist. In diesem Falle können die "betroffenen Parteien" durch eine Gerichtsstandsvereinbarung die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte im Heimatland des Erblassers (= anderer Mitgliedstaat) begründen (Art. 5 Abs. 1 ErbVO).
Rz. 251
Gem. Art. 5 Abs. 2 S. 1 ErbVO bedarf eine solche Gerichtsstandsvereinbarung der Schriftform (wobei eine elektronische Übermittlung ggf. gleichgestellt ist, Art. 5 Abs. 2 S. 2 ErbVO). Sie ist mit einem Datum zu versehen und von den betroffenen Parteien zu unterzeichnen.
Rz. 252
In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass der Erblasser selbst das zuständige Gericht nicht bestimmen kann; der Erblasser kann nur das anwendbare Recht bestimmen, der Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung dagegen ist allein den betroffenen Parteien zugewiesen. Die Gerichtsstandsvereinbarung kann inhaltlich auch nur dahingehen, dass die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, dessen Recht der Erblasser gewählt hat; die Vereinbarung der Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Staates ist nicht zulässig. Zu beachten ist auch, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung die Rechtswahl durch den Erblasser voraussetzt, ansonsten ist sie nicht möglich (bzw. entfaltet keine Wirkungen). Die Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 5 ErbVO erfordert aber kein "Zusammenwirken" zwischen dem Erblasser und den Erben. Es ist nicht erforderlich, dass der Erblasser den Erben etwa eine entsprechende Gerichtsstandsvereinbarung durch Verfügung von Todes wegen auferlegt. Gleichwohl kann er einen solchen Wunsch äußern – die Erben sind aber nach der ErbVO daran nicht gebunden (zur Konstruktion einer Pflicht der Erben zum Abschluss einer solchen Vereinbarung über die Gestaltungsmittel der Verfügung von Todes wegen (vgl. § 4 Rn 22) (Nachlassplanung).
aa) Gerichtsstandsvereinbarung
Rz. 253
Haben die betroffenen Parteien eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen, so führt das zur Zuständigkeit des gewählten Gerichts im Heimatstaat des Erblassers; dieses ist dann nach Art. 7 Buchstabe b ErbVO zuständig (und zwar zur Entscheidung über den gesamten Nachlass). Die Parteien können also eine entsprechende Gerichtsstandsvereinbarung schon treffen, bevor es überhaupt zur Anrufung eines Gerichts kommt.
War zuvor die Sache bereits bei dem Gericht der allgemeinen Zuständigkeit nach Art. 4 ErbVO anhängig (also dem Gericht am gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers), so hat sich dieses für unzuständig zu erklären (Art. 6 Buchstabe b ErbVO). Gleiches gilt, wenn das zuvor angerufenen Gericht gem. Art. 10 ErbVO zuständig war.
Rz. 254
Das gewählte Gericht ist gem. Art. 7 Buchstabe a ErbVO (auch) aufgrund der Unzuständigkeitserklärung (des zuvor über Art. 4 ErbVO oder Art. 10 ErbVO allgemein zuständigen Gerichts) zuständig. Diese Regelung ist bei einer Gerichtsstandsvereinbarung überflüssig, denn für das zuvor zuständige Gericht besteht gem. Art. 6 Buchstabe b nicht etwa ein Ermessen, ob sich für unzuständig zu erklären hat. Vielmehr ergibt der klare Wortlaut – "es erklärt ...