Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 23
Die Internationale Zuständigkeit der deutschen Nachlassgerichte regelte bisher § 105 FamFG.
§ 105 FamFG lautet:
Zitat
In anderen Verfahren nach diesem Gesetz sind die deutschen Gerichte zuständig, wenn ein deutsches Gericht örtlich zuständig ist.
Unter der Rechtslage des FGG (bis zum 31.8.2009) war noch die Gleichlauftheorie maßgeblich: Die deutschen Nachlassgerichte waren grundsätzlich international nur dann zuständig, wenn deutsches Recht die Erbfolge beherrschte; war dagegen ausländisches Recht berufen, bestand grundsätzlich keine Zuständigkeit, sondern nur ausnahmsweise dann, wenn sich Nachlassgegenstände im Inland befanden.
Die Zuständigkeit der deutschen Gerichte bezog sich dann auch nur auf das Inland: der von einem deutschen Gericht erteilte Erbschein war gem. § 2369 BGB alte Fassung auf das inländische Vermögen beschränkt.
Rz. 24
Mit dem Inkrafttreten des FamFG (am 1.9.2009) wurde der Gleichlauftheorie eine Absage erteilt. Es kam seither für die Internationale Zuständigkeit der deutschen Nachlassgerichte gem. § 105 FamFG nur noch darauf an, ob die örtliche Zuständigkeit gegeben ist. Die örtliche Zuständigkeit regelt § 343 FamFG, die Zuständigkeit liegt danach vor, wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz oder seinen letzten (schlichten) Aufenthalt in Deutschland hatte (§ 343 Abs. 1 FamFG).
Ist das nicht der Fall, kam es bisher für die örtliche Zuständigkeit (und damit über § 105 FamFG auch für die Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte) darauf an, ob der Erblasser die deutsche oder eine ausländische Staatsangehörigkeit hat. Für deutsche Erblasser ohne inländischen Wohnsitz oder Aufenthalt bestand gem. § 343 Abs. 2 FamFG die Zuständigkeit des Amtsgerichts Schöneberg in Berlin, für ausländische Erblasser ohne inländischen Wohnsitz oder Aufenthalt war die Zuständigkeit eines deutschen Nachlassgerichts nur eröffnet, sofern sich Gegenstände im Inland befanden.
Rz. 25
Diese Regelungen (§§ 105, 343 FamFG) zur Internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte werden für Erbfälle ab dem 17.8.2015 von den Vorschriften des Kapitels II der ErbVO zur Internationalen Zuständigkeit bei der Erteilung des europäischen Nachlasszeugnisses (ENZ) vollumfänglich verdrängt.
Der Vorrang des EU-Rechts wird von § 97 Abs. 1 S. 2 FamFG ausdrücklich bestimmt (vgl. zum Vorrang des EU-Rechts § 1 Rn 40), und Art. 64 S. 1 ErbVO regelt ausdrücklich, dass sich die Zuständigkeit zur Erteilung eines ENZ nach den Zuständigkeitsbestimmungen richtet, wie sie in der ErbVO vorgesehen sind (Artt. 4, 7, 10, 11 ErbVO). Daher ist ein deutsches Gericht für die Erteilung des ENZ zuständig, sofern sich die deutsche Internationale Zuständigkeit aus der ErbVO ergibt.
Umstritten ist dagegen inzwischen, ob die Internationale Zuständigkeit für Erteilung eines nationalen Erbnachweises ebenfalls allein dem Regime der ErbVO unterfällt, oder ob die Internationale Zuständigkeit zur Erteilung des nationalen Erbnachweises weiterhin dem autonomen Recht des betreffenden Mitgliedstaates entnommen werden kann. Das betrifft aus deutscher Sicht die praxisrelevante Frage, ob ein deutsches Nachlassgericht einen Erbschein (nicht dagegen das ENZ) nur in den Fällen erteilen kann, in denen die deutsche Internationale Zuständigkeit nach der Erb VO begründet ist, oder auch dann, wenn sich die Internationale Zuständigkeit nicht aus der ErbVO, sondern nur aus den Bestimmungen des FamFG zur Internationalen Zuständigkeit ergibt.
Da das EU-Recht dem deutschen Recht gegenüber vorrangig ist, geht es hierbei darum, ob die ErbVO es dem nationalen Gesetzgeber gestattet, insoweit eigenständige – von den Vorschriften zur Internationalen Zuständigkeit wie sie die ErbVO vorsieht – abweichende und ergänzende Bestimmungen zu treffen bzw. beizubehalten. Eine ausdrückliche Regelung hierzu trifft die ErbVO nicht.
Rz. 26
Die überwiegende Literatur in Deutschland vertritt den Standpunkt, dass die Zuständigkeitsregelungen der ErbVO auch die Erbscheinserteilung betreffen (dass also auch die nationalen Vorschriften zur Internationalen Zuständigkeit durch die ErbVO verdrängt sind), so dass die deutschen Gerichte zur Erteilung sowohl des ENZ als auch eines Erbscheins nur dann zuständig sind, wenn die Zuständigkeit nach der ErbVO begründet ist. Zum Teil wird diese Ansicht gar nicht begründet, sondern es wird gleichsam als logisch vorausgesetzt, dass die Vorschriften über die Internationale Zuständigkeit in der ErbVO sowohl (direkt) für die Erteilung eines deutschen Erbscheins als auch für die Ausstellung eines ENZ gelten.
Zum Teil wird die Ausschließlichkeit der Zuständigkeitsregelungen der ErbVO im Hinblick auf alle erbbezeugenden Dokumente einzelner Mitgliedstaaten ausdrücklich betont (ausschließliche Zuständigkeit/Zuständigkeitsmonopol), die Zuständigkeitsvorgaben der ErbVO sind danach für die Gerichte bindend und ausschließlich, Raum für das autonome Zuständigkeitsrecht der Mitgliedstaaten verbleibt nicht.
Rz. 27
Da das Anliegen der ErbVO gerade darauf gerichtet ist, das...