Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 152
Gem. Art. 22 Abs. 1 S. 1 ErbVO kann der Erblasser die Rechtsnachfolge (in den gesamten Nachlass) dem Recht des Staates unterwerfen, dessen Staatsangehörigkeit er – zum Zeitpunkt der Rechtswahl oder zum Zeitpunkt seines Todes – besitzt.
Mit der Rechtswahlmöglichkeit kann sich der Erblasser bei der Nachlassplanung dem Systemwechsel entziehen, den die ErbVO aus deutscher Sicht vollzieht (Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt, Aufgabe der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit).
Die Rechtswahlmöglichkeit trägt damit den Interessen derjenigen Erblasser Rechnung, die sich mit einer Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt nicht abfinden wollen, sei es, weil sie sich ihrem Heimatrecht enger verbunden fühlen als mit dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts, sei es, dass sie dieses besser kennen oder als vorzugswürdig empfinden.
a) Welches Recht kann gewählt werden (wählbare Rechte)
Rz. 153
Da die Rechtswahl auf das Heimatrecht beschränkt ist, kann der Erblasser unter verschiedenen Rechten überhaupt nur dann wählen, wenn er entweder bereits bei der Rechtswahl mehrere Staatsangehörigkeiten besitzt, oder seine Staatsangehörigkeit im Laufe seines Lebens ändern wird, denn nach Art. 22 Abs. 1 ErbVO kann das derzeitige Heimatrecht oder das Heimatrecht zum Zeitpunkt des Todes gewählt werden.
aa) Wahl des zukünftigen Heimatrechts
Rz. 154
Der Wechsel der Staatsangehörigkeit ist mit einem viel größeren Aufwand verbunden als der Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts; es ist daher genau zu überlegen, ob es sinnvoll ist, das Recht eines Staates zu wählen, dessen Staatsangehörigkeit der Erblasser noch nicht besitzt, sondern erst anstrebt. Denn eine solche Wahl eines erst angestrebten Staatsangehörigkeitenrechts ist unsicher; sie wirkt sich nur aus, wenn dem Erblasser im Todesfall die betreffende Staatsangehörigkeit bereits verliehen worden war. Es besteht also solchen Fällen das Risiko, dass sich die Rechtswahl nicht auswirkt, weil sich das Verfahren zur Erlangung der Staatsangehörigkeit länger hingezogen hatte, als der Erblasser bei Vornahme der Rechtswahl erwartet hatte oder wegen eines unerwartet frühen Todes.
Rz. 155
Will der Erblasser – trotz der Risiken – das Recht einer erst zukünftig zu begründenden Staatsangehörigkeit wählen, so muss er das Recht konkret bezeichnen, z.B. "ich will nach deutschem Recht beerbt werden". Nicht ausreichend wäre dagegen "ich will nach dem Recht beerbt werden, dessen Staatsangehörigkeit ich zum Zeitpunkt meines Todes besitze".
bb) Verschiedene Heimatrechte (Mehrstaater)
Rz. 156
Ist der Erblasser bereits bei der Rechtswahl Mehrstaater, kann er jedes seiner Heimatrechte wählen, es kommt nicht auf die effektive Staatsangehörigkeit an, er kann also auch ein Recht wählen, dessen Staatsangehörigkeit er hat, auch wenn ansonsten zu diesem Recht keine weiteren Berührungspunkte bestehen. Insbesondere geht bei deutschen Erblassern die deutsche Staatsangehörigkeit nicht vor (anders als bisherig gem. Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB).
cc) Recht eines Drittstaates
Rz. 157
Das gewählte – oder zu wählende Recht – muss nicht das Recht eines Mitgliedstaates sein, auch das Recht eines Drittstaates, dessen Staatsangehörigkeit der Erblasser besitzt, kann wirksam gewählt werden.
dd) Ausgeschlossene Rechte
Rz. 158
Nicht wählen kann der Erblasser dagegen das Recht am derzeitigen gewöhnlichen Aufenthalt, auch wenn dafür ein Bedürfnis besteht, z.B. weil der Erblasser sich diesem Recht besonders verbunden fühlt – etwa durch einen lebenslangen Aufenthalt in diesem Staat. Lebt also z.B. ein Italiener seit Jahren in Deutschland, kann er dennoch nur italienisches Recht wählen, nicht deutsches Recht. Verlegt er dann vor seinem Tod seinen gewöhnlichen Aufenthalt z.B. nach Österreich, wird er – ohne Rechtwahl – nach österreichischem Recht beerbt; dieses Ergebnis kann er nur zugunsten des italienischen Rechts ändern, nicht zugunsten des deutschen Rechts; eine Wahl des deutschen Rechts hat keine Auswirkungen (sofern er nicht vor seinem Tode die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt).
Diese Einschränkung des Kreises der wählbaren Rechte wurde zum Schutz der Pflichtteilsberechtigten und aus Sorge vor Missbrauch geschaffen. Erwägensgrund 38 führt dazu aus, dass mit der Beschränkung auf die Wahl des Rechtes der Staatsangehörigkeit vermieden wird, dass ein Recht mit der Absicht gewählt wird, die berechtigten Erwartungen der Pflichtteilsberechtigten zu vereiteln.
Rz. 159
Die Wahl des anwendbaren Rechts gem. Art. 22 ErbVO ist zu unterscheiden von der speziellen Rechtswahl für die Zulässigkeit und materielle Wirksamkeit von Verfügungen von Todes wegen nach Art. 24 und 25 ErbVO (dazu siehe unten Rn 178).
b) Ausdrückliche Rechtswahl
Rz. 160
Die Rechtswahl kann gem. Art. 22 Abs. 2 ErbVO nu...