Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 378
Ebenfalls nicht in der ErbVO geregelt ist die Frage, welche Rechtswirkungen solchen beglaubigten Abschriften beizumessen ist, die sich inhaltlich widersprechen.
Das betrifft den Fall des Ausstellens einer (neuen) beglaubigten Abschrift einer nunmehr aufgrund Unrichtigkeit geänderten Urschrift, während sich die inhaltlich fehlerhaften beglaubigten Abschriften noch im Umlauf befinden (und deren Ablauffrist auch noch nicht verstrichen ist), die aber von der Ausstellungsbehörde nicht eingefordert werden können (und auch nicht vom wahren Berechtigten, sofern man § 2362 Abs. 1 BGB nicht anwendet, siehe oben Rn 376).
Rz. 379
Für diese Frage kommt es zunächst darauf an, woran (genau) der gute Glaube des ENZ geknüpft wird, den die beglaubigte Abschrift entfaltet; an die tatsächliche Vorlage der beglaubigten Abschrift oder allein an den Umstand, dass die beglaubigte Abschrift ausgestellt worden ist.
Rz. 380
Beim deutschen Erbschein wird der öffentliche Glaube ausschließlich daran geknüpft, dass der Erbschein erteilt und in Kraft ist, einer Vorlage des Erbscheines bedarf es dagegen nicht, damit dem Erwerber der öffentliche Glaube zugutekommt.
Die ErbVO schweigt zu dieser Frage. Der Kommissionsvorschlag knüpfte den Gutglaubensschutz noch an die jeweilige Inhaberschaft des Zeugnisses und nicht an die ausgewiesene Berechtigung, woraus geschlossen werden konnte, dass der gute Glaube die Vorlage des Zeugnisses voraussetzen sollte.
Rz. 381
Art. 69 Abs. 3 und 4 ErbVO sind inhaltlich gegenüber dem Vorschlag insofern geändert worden, als die Regelung nunmehr die Inhaberschaft des Zeugnisses nicht mehr erwähnt. Damit liegt es nahe, die Vorschrift so zu verstehen, dass es für den Schutz des guten Glaubens der Vorlage der beglaubigten Abschriften nicht bedarf, sondern allein ihr Vorhandensein ausreicht. Stellt man darauf ab, so muss der Gutglaubensschutz für alle in Umlauf befindlichen beglaubigten Abschriften entfallen, die sich inhaltlich widersprechen.
Unter dieser Prämisse ist auch die Frage ungeklärt, ob die Wirkung der (neuen) beglaubigten Abschriften, die die Rechtslage zutreffend widerspiegeln, den Gutglaubensschutz wiederaufleben lässt, sobald die fehlerhaften beglaubigte Abschriften ihre Ablauffrist überschritten haben.
Wie diese Fragen gelöst werden und welche Ansichten sich durchsetzen werden, lässt sich nicht voraussagen. Es ist bedauerlich, dass die ErbVO auch an dieser Stelle klare Aussagen vermissen lässt. Insoweit ist also nur darauf zu hoffen, dass sich innerhalb der Mitgliedstaaten im Laufe der Zeit ein einheitlicher Standard ergeben wird.