Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 333
Belässt man es auch in Zukunft – wie nach bisherigem Recht – bei der Internationalen Zuständigkeit für die Erteilung von Erbscheinen gemäß dem nationalen Recht (§§ 105, 343 aF/n.F. FamFG), so sind unterschiedliche Inhalte von ENZ – ausgestellt von den Gerichten des gemäß Artt. 4 ErbVO zuständigen Mitgliedstaats – und Erbschein – ausgestellt von den aufgrund des deutschen Rechts zuständigen deutschen Gerichten – vorprogrammiert. Das betrifft nicht nur die Fälle, in denen eines der ausstellenden Gerichte fehlerhaft entscheidet, sondern ist selbst bei jeweils zutreffender Entscheidung möglich, zum Beispiel, weil beide Gerichte jeweils ihre Vorfragen nach ihrem eigenen IPR anknüpfen und deshalb zu unterschiedlichen Inhalten der jeweiligen Zeugnisse gelangen (Gleiches gilt, wenn Staatsverträge vorliegen, die nur einen Mitgliedsstaat binden, vgl. dazu Rn 403).
Rz. 334
Ungeklärt ist auch, wie z.B. das Grundbuchamt damit umgehen soll, wenn ihm ein europäisches Nachlasszeugnis und ein davon inhaltlich abweichender Erbschein präsentiert werden; muss dann beiden Zeugnissen die Vermutungs- und Gutglaubenswirkung versagt werden? Wie sollte dann aber die Erbfolge im Einzelfall überhaupt nachgewiesen werden? Neben diesen (gewissermaßen vom deutschen Ausführungsgesetz ohne Not "hausgemachten") Problemen kann sich allerdings auch dann ein Unterschied zwischen ENZ und Erbschein ergeben, wenn ein deutsches Nachlassgericht beide Zeugnisse erteilt und die Zuständigkeit für beide Zeugnisse auf den Regelungen der Erb VO fußt (zum Beispiel im Regelfall des Art. 4 ErbVO, wenn der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte). In diesem Falle kann sich wegen der Ausnahme des Bereichs des Ehegüterrechts aus dem Anwendungsbereich der Erb VO zwangsläufig ein Unterschied zwischen dem deutschen Erbschein (Erbquote des Ehegatten mit Einschluss des pauschalen ¼ gem. § 1371 Abs. 1 BGB) und dem ENZ ergeben.
Rz. 335
Auch wenn die Quote der pauschalen Erhöhung im ENZ an sich nicht genannt werden kann, wird insoweit vertreten, dass im Erbschein anzugeben ist, dass im deutschen gesetzlichen Güterstand der Zugewinnausgleich durch die Pauschalierung nach § 1371 Abs. 1 erfolgt.
Mindestens muss im ENZ zumindest ein klarstellender Hinweis darauf gegeben werden, dass das deutsche Recht in diesen Fällen zu einer Quote kommt, die vom ENZ nicht erfasst wird (nicht erfasst werden kann).
Rz. 336
Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass das ENZ – neben dem aus deutscher Sicht zu erwartenden Inhalt, nämlich anwendbares Recht, Art und Weise der Berufung des Erben, Person des Erben, Erbquote(n), Beschränkungen, – auch die Rechte des Vermächtnisnehmers und die dem Nachlassberechtigten zugewiesenen Vermögenswerte angibt (Art. 63 Abs. 2 Buchstabe b ErbVO). Die Aufnahme von Vermächtnisnehmern in das Zeugnis erklärt sich vor allem daraus, dass – anders als im deutschen Recht, bei dem der Vermächtnisnehmer nur einen schuldrechtlichen Anspruch hat (§ 2174 BGB) – das Vermächtnis in vielen Rechten dinglich wirkt (typischerweise in Rechten, die den Grundsatz der Universalsukzession nicht kennen).