Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 61
Problematisch ist die Ausnahme des Personenstandes im Hinblick auf sogenannte Vorfragen bzw. die Vorfragenanknüpfung. Es geht hierbei um präjudizielle Fragen, die entweder durch den Tatbestand einer Kollisionsnorm aufgeworfen werden – z.B. setzt die Frage nach den Ehewirkungen oder der Scheidung zunächst überhaupt das Bestehen einer Ehe voraus –, oder durch den Tatbestand einer Norm des in der Sache anwendbaren Rechts – z.B. wenn eine Sachnorm des anwendbaren Rechts einen Rechtsbegriff enthält (wie etwa § 1924 BGB die Abkömmlingseigenschaft verlangt).
Es stellt sich nun die Frage, welcher Rechtsordnung die Kollisionsnorm zur Bestimmung des anwendbaren Rechts zur Lösung der Vorfrage entnommen werden muss. Gerade im Erbrecht geht es häufig um diese Problematik.
Rz. 62
Beispiel:
Nach fast allen (westlichen) Rechten gelangen der Ehegatte und die Verwandten zur Erbfolge (sofern keine Verfügung von Todes wegen errichtet wurde; vgl. für das deutsche Recht §§ 1931, 1924 ff. BGB). Als Vorfrage ist jeweils zu klären, ob die Ehe bestand und ob die Verwandten dem Erblasser (rechtlich) zuzuordnen sind.
Geht es um einen reinen deutschen Inlandsfall, ist die Vorfrage – selbstverständlich – ebenfalls nach deutschem Recht zu entscheiden, so dass sich insofern gar keine Friktionen ergeben können, weil die Systematik der verschiedenen Rechtsgebiete – hier Familien- und Erbrecht aufeinander abgestimmte Systembegriffe enthalten.
Ist dagegen eine kollisionsrechtliche Prüfung nach dem anwendbaren Erbrecht vorzuschalten, muss bei Vorfragen entschieden werden, ob sie dem Erbstatut unterfallen (unselbstständige Anknüpfung) oder gesondert anzuknüpfen sind (selbstständige Anknüpfung).
Rz. 63
Im Hinblick auf die Berufung des Ehegatten gem. § 1931 BGB z.B. muss geklärt werden, ob die Ehe wirksam geschlossen worden ist bzw. ob sie wirksam geschieden wurde. Bei den Verwandten kommt es ggf. darauf an, ob die Vaterschaftsanerkennung wirksam war, oder ob eine Adoption wirksam vorgenommen wurde. Damit stellt sich in diesem Bereich die Frage, ob solche Fragen dem berufenen Erbrecht unterliegen oder gesondert angeknüpft werden müssen. Wenn es um die Erbfolge geht, ist die Frage nach dem anwendbaren Recht für die Erbfolge insofern die Hauptfrage, die Frage der Verwandtschaft/Scheidung/wirksamen Ehe ist dagegen eine Vorfrage.
Rz. 64
Unterstellt man beispielsweise die Frage nach der wirksamen Scheidung dem für die Erbfolge berufenen Recht, führt dies zu der Konsequenz, dass die Frage der wirksamen Scheidung unter erbrechtlichen Gesichtspunkten möglicherweise anders beurteilt wird als unter dem Gesichtspunkt etwa des Zeugnisverweigerungsrechts oder des Unterhaltsrechts. Insofern könnte die gleiche Ehe aus deutscher Sicht einmal als wirksam geschieden, einmal als nicht wirksam geschieden angesehen werden, je nachdem welche Hauptfrage gestellt wird.
Rz. 65
Dies widerspricht dem internen Entscheidungseinklang und deshalb werden Vorfragen nach deutscher Doktrin grundsätzlich selbstständig angeknüpft, d.h. die Frage der wirksamen Eheschließung/Ehescheidung wird gesondert angeknüpft. Das nach Art. 13 EGBGB berufene Recht (Eheschließungsstatut) entscheidet damit über die Wirksamkeit der Eheschließung, nicht das über Art. 25 EGBGB berufene Erbstatut. Gleiches gilt für die Ehescheidung, hier ist das über Art. 5 bzw. Art. 8 der Rom III VO anwendbare Recht maßgeblich für die Vorfrage, ob die Ehe wirksam geschieden wurde; die Abstammung richtet sich nach Art. 19 EGBGB usw.
Rz. 66
Bedeutsam wird die Frage der selbstständigen/unselbstständigen Anknüpfung der Vorfrage auch im Bereich des Erbrechts von (in deutscher Terminologie) eingetragenen nichtehelichen Lebenspartnern. Selbst wenn das anwendbare Erbstatut – sowie das deutsche Recht (vergleiche § 10 LPartG) – dem Lebenspartner ein Erbrecht zugesteht, muss zunächst die Frage geklärt werden, ob der Erblasser in einer solchen eingetragenen Lebenspartnerschaft lebte. Diese Frage ist also nicht nach dem von der Erb VO berufenen Recht anzuknüpfen, sondern selbstständig.
Aus deutscher Sicht bemisst sich das nach Art. 17b Abs. 1 S. 1 EGBGB, die Begründung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft unterliegt danach den Sachvorschriften des registerführenden Staates. Aus deutscher Sicht ergibt sich damit das Problem, ob eine im Ausland registrierte gleichgeschlechtliche Partnerschaft einer deutschen eingetragenen Lebenspartnerschaft gleichsteht, oder ob das nicht der Fall ist (zum Beispiel wenn die Registrierung im Registrierungsstaat gar nicht dazu führt, dass mit der Eintragung ein gesetzliches Erbrecht entsteht). Aus der Sicht eines Mitgliedstaates, der eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft gar nicht anerkennt (vgl. § 6 Fn 2), stellt sich insofern nicht einmal eine Vorfrage.
Rz. 67
Die Frage der selbstständigen/unselbstständigen Anknüpfung der Vorfrage stellt sich ansonsten in jedem Mitgliedstaat. Hier sind unterschiedliche Lösungen bei den Ergebnissen also auch dann vorprogrammiert, wenn das Erbsta...