Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 84
Durch die Ausklammerung des Güterrechts aus dem Anwendungsbereich der ErbVO gewinnt nun die Qualifikationsfrage hier nochmals verstärkt an Bedeutung, denn wenn die ErbVO güterrechtliche Fragen ausnimmt, kann die pauschale Erhöhung des Erbteils keine Berücksichtigung erfahren. Die Anknüpfung kann insoweit gar nicht nach der ErbVO erfolgen, sondern unterliegt in Deutschland weiterhin dem (deutschen) nationalen Recht, nämlich Art. 15 EGBGB.
Es ist auch nicht abzusehen, dass die geplante Vereinheitlichung des Internationalen Ehegüterrechts der Mitgliedstaaten insoweit ein anderes Ergebnis hervorbringen wird, weil zu erwarten ist, dass die Auseinandersetzung des ehelichen Vermögens durch die geplante Neuregelung dem Güterrechtsstatut dieser neuen Güterrechts-VO unterstellt wird, und zwar auch für den Fall, dass eine Auseinandersetzung des ehelichen Vermögens deshalb erfolgen muss, weil einer der Ehegatten verstorben ist.
Rz. 85
Nach dem bereits vorliegenden Kommissionsvorschlag zur Güterrechts-VO (abgedr. im Anhang siehe § 7 Rn 6) betrifft der Anwendungsbereich die güterrechtliche Auseinandersetzung infolge Trennung oder Tod. Der Vorschlag sieht vor, dass der Güterstand sich nach dem Recht des Staates richtet, in dem die Ehegatten ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben. Zieht das Ehepaar später in einen anderen Staat, so ergibt sich bereits daraus die Konsequenz, dass für das Ehegüterrecht ein anderes Recht berufen ist als für die Erbfolge.
Rz. 86
Fälle, in denen das Güterrechtsstatut und das Erbstatut auseinanderfallen, werden daher auch in Zukunft auftreten, wenn die Güterrechtsverordnung gilt (unterstellt, dass die künftigen Regelungen denen des jetzigen Kommissionsvorschlages entsprechen).
Es ist daher wenig wahrscheinlich, dass die Qualifikationsfrage hinsichtlich des § 1371 Abs. 1 BGB künftig ihre Problematik verlieren wird.
Rz. 87
Ob ein Rechtsanwender in einem anderen EU Mitgliedstaat die ErbVO anwendet, wenn es um § 1371 BGB geht, hängt davon ab, ob diese (deutsche) Vorschrift in diesem betreffenden Mitgliedstaat als güterrechtliches oder erbrechtliches Gebilde qualifiziert wird.
Das hat naturgemäß auch Auswirkungen auf das – neue – europäische Nachlasszeugnis (dazu siehe unten Rn 318), denn dieses kann das pauschale Viertel nicht angeben, wenn die Vorschrift güterrechtlich qualifiziert wird (wie es in Deutschland der Fall ist). Erteilt also ein deutsches Nachlassgericht das europäische Nachlasszeugnis, darf an sich die Erbquote des Ehegatten das pauschale Viertel nicht nennen (während der gegebenenfalls gleichzeitig erteilte deutsche Erbschein – selbstverständlich – die Erbquote mit Einschluss des pauschalen Viertels angibt). Ein Auseinanderfallen von nationalem Erbschein und EU- Nachlasszeugnis ist daher in diesen Fällen vorprogrammiert (vgl. dazu auch Rn 333).
Rz. 88
Besonders unklar ist in diesem Zusammenhang Erwägensgrund 12 abgefasst: danach sollten die Behörden, die mit einer bestimmten Erbsache befasst sind, je nach den Umständen des Einzelfalles die Beendigung des ehelichen oder sonstigen Güterstands des Erblassers bei der Bestimmung des Nachlasses und der jeweiligen Anteile der Berechtigten "berücksichtigen". In welcher Weise eine solche Berücksichtigung erfolgen kann, wenn das Güterrecht aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen ist, erschließt sich nicht. Z.T. wird wegen dieser Schwierigkeiten sogar gefordert, dass der deutsche Gesetzgeber das Konzept des § 1371 Abs. 1 BGB überdenke.