Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 10
Jedes Jahr ereignen sich in der EU ca. 450.000 grenzüberschreitende Erbfälle mit Auslandsbezug, bei denen ein Vermögen von insgesamt ca. 123 Milliarden EUR übertragen wird). Nach bisheriger Rechtslage haben die nationalen Gerichte in der EU dabei vielfach ein ihnen nicht vertrautes ausländisches Recht (sei es das Recht eines EU-Mitglied Staates oder eines Drittstaates) anzuwenden. Dies treibt die Kosten der Rechtsverfolgung in die Höhe – das Gericht muss im Falle mangelnder eigener Kenntnis des fremden Rechts ein Sachverständigengutachten in Auftrag geben – und die mangelnden Rechtskenntnisse des Gerichts können naturgemäß auch zu Einbußen bei der Qualität der Rechtsfindung führen.
Rz. 11
Die nationalen Rechte innerhalb der EU sehen für die Rechtsnachfolge von Todes wegen unterschiedliche Anknüpfungsmomente vor (Staatsangehörigkeit/Wohnsitz); vielfach wird auch zwischen unbeweglichem und beweglichen Nachlass unterschieden, sodass die Anknüpfung mitunter sehr unübersichtlich ist und damit eine Nachlassplanung erschwert wird.
Rz. 12
Schon seit gut 10 Jahren wurde innerhalb der Europäischen Kommission das Projekt einer Rechtsvereinheitlichung des Erb- und Erbverfahrensrechts innerhalb der EU erörtert.
Die Überlegungen gingen allerdings nie um die Einführung eines einheitlichen Erbrechts innerhalb der EU, sondern nur um ein einheitliches IPR – also eines einheitlichen Anknüpfungssystems für das auf den Fall anwendbare Erbrecht und ein einheitliches Verfahrensrecht (die Internationale Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen).
Rz. 13
Die Vorüberlegungen zur Initiative der EU-Kommission gehen auf eine Studie des deutschen Notarinstituts zurück, die zunächst in ein so genanntes "Grünbuch" mündete, dem ein Diskussionsentwurf folgte, dann ein Verordnungsentwurf und schließlich die Erbrechts-VO, nämlich die "Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Tatsachen sowie zur Einführung eines europäischen Nachlasszeugnisses" (Abdruck im Anhang, siehe § 7 Rn 1). Die VO wird auch als "Rom-IV-VO" bezeichnet. Sie gilt als das ambitionierteste Projekt der Bestrebungen mit dem Ziel einer Vereinheitlichung des Kollisionsrechts und des Internationalen Verfahrensrechts.
Rz. 14
Die bislang in Kraft getretenen EU Verordnungen regeln jeweils entweder nur das Verfahrensrecht (die Internationale Zuständigkeit sowie die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, die Brüssel I – VO/Brüssel I a – VO; die Brüssel II a – VO) oder ausschließlich das auf den Sachverhalt anwendbare Recht, also das Kollisionsrecht (Rom I bis Rom III, Haager Protokoll); die ErbVO dagegen fasst beide Bereiche zusammen, sie regelt sowohl die Zuständigkeit als auch das anzuwendende Recht und ferner die Einführung eines europäischen Nachlasszeugnisses.
Damit wird ein einheitliches Regelwerk hervorgebracht, welches nicht nur zur Rechtsvereinheitlichung der in der EU bislang noch sehr unterschiedlichen Kollisionsrechte für Nachlasssachen führt, sondern auch einheitliche Zuständigkeitsstrukturen erzeugt. Dadurch wird den in der EU ansässigen Personen die Nachlassplanung erleichtert, es werden aber auch die Rechte der Erben, Familienangehörigen und der Nachlassgläubiger zukünftig besser gewahrt.