Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 256
Die Bestimmung des Art. 5 ErbVO zur Gerichtsstandsvereinbarung ist äußerst lückenhaft.
aa) Parteien der Gerichtsstandsvereinbarung
Rz. 257
Es fehlt schon an einer Regelung zu der Frage, wer die betroffenen Parteien sind, die die Gerichtsstandsvereinbarung zu treffen haben. Die Ausführungen in Erwägensgrund 28 S. 2 bringen insoweit keine Klarstellung, im Gegenteil: offenbar soll sie grundsätzlich zwischen sämtlichen Parteien geschlossen werden, ausnahmsweise aber auch nur von einigen. Wie der "Gegenstand der Gerichtsvereinbarung" allerdings zugeschnitten sein muss, um Einfluss darauf zu haben, ob die Vereinbarung von sämtlichen betroffenen Parteien geschlossen werden müsste, ist wenig greifbar.
Rz. 258
Man wird unter "betroffene Parteien" sicherlich die Erben zu verstehen haben, ob darunter z.B. auch die Vermächtnisnehmer fallen, erscheint schon fraglich. Erwägensgrund 28 S. 2 führt dazu aus, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung nur zwischen einigen der Betroffenen möglich sein kann, sofern "spezifische Fragen" abgespalten werden können, allerdings nur dann, wenn die Rechte der anderen Parteien am Nachlass nicht berührt werden. Auch hier besteht Unklarheit, was damit gemeint ist, denn es ist schwer vorstellbar, wie eine Entscheidung in einer Nachlasssache ohne Einfluss auf die Rechte der anderen Parteien am Nachlass getroffen werden kann.
bb) Gerichtsstandsvereinbarung nicht von allen Parteien getroffen
Rz. 259
Besonders problematisch ist der Fall insbesondere in Nachlassverfahren, bei denen zunächst nicht alle Erben feststehen. Treffen nur die bekannten Erben eine Gerichtsstandsvereinbarung, sind die übrigen Erben von dieser nicht gebunden. Art. 9 Abs. 1 ErbVO bestimmt für diesen Fall zunächst, dass das gewählte Gericht weiterhin zuständig ist, wenn sich die nicht an der Gerichtsstandsvereinbarung beteiligten Verfahrensparteien auf das Verfahren einlassen, ohne den Mangel der Zuständigkeit des Gerichts zu rügen.
Der Mangel einer Gerichtsstandsvereinbarung kann also auf zwei unterschiedliche Arten geheilt werden, nämlich entweder über Art. 7 Buchstabe c ErbVO (ausdrückliche Anerkennung) oder über Art. 9 Abs. 1 ErbVO (rügelose Einlassung).
Rz. 260
Wird der Mangel dagegen gerügt, findet Art. 9 Abs. 2 ErbVO Anwendung: das nicht von allen gewählte Gericht verliert seine Zuständigkeit und hat sich für unzuständig zu erklären, zuständig ist das nach Art. 4 oder Art. 10 zuständige Gericht.
cc) Fortbestand von Entscheidungen
Rz. 261
Ebenfalls nicht geregelt ist die Frage, ob bereits getroffene Entscheidungen des Gerichts, welches sich – später – für unzuständig erklärt (sei es nach Art. 6 Buchstabe a oder b ErbVO, sei es nach Art. 9 Abs. 2 ErbVO) wirksam bleiben oder außerkrafttreten (automatisch oder nur auf Antrag?). Von besonderem Gewicht ist diese Frage, wenn bereits ein Erbschein erteilt worden war und dieser – wie z.B. nach deutschem Recht – mit seiner Erteilung bereits öffentlichen Glauben erlangt hat.
dd) Welchem Recht unterliegt die Gerichtsstandsvereinbarung
Rz. 262
Die ErbVO schweigt auch zu der Frage, welchem Recht die Gerichtsstandsvereinbarung zu unterfallen hat; wollte man hier kumulativ auf alle Rechte der Vertragsparteien abstellen, würden Gerichtsstandsvereinbarungen erschwert werden; einzig sachgerecht erscheint das Abstellen auf das vom Erblasser gewählte anwendbare Recht (Art. 22 ErbVO, also das Heimatrecht des Erblassers).
ee) Zuständigkeitswahl und Art der Rechtswahl
Rz. 263
Nicht eindeutig geregelt ist ferner die Frage, welche Rechtswahltatbestände die ErbVO bei den Abweichungen der Regelzuständigkeit nach Art. 4 ErbVO (bzw. Art. 10 ErbVO) durch die Zuständigkeitswahl nach Artt. 6, 7 und 9 im Auge hat. Wie oben ausgeführt, kann der Erblasser (neben der Möglichkeit, das anwendbare Recht insgesamt zu bestimmen) auch den Weg gehen, das anwendbare Recht nur hinsichtlich der Zulässigkeit und Wirkungen der Verfügung von Todes wegen zu wählen (Art. 24 Abs. 2 oder Art. 25 Abs. 3 ErbVO – "isolierte Rechtswahl", vgl. dazu Rn 177 ff.).
Der Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 ErbVO –"ist das nach Art. 22 zur Anwendung auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen gewählten Recht ..." deutet daraufhin, dass nur eine umfassende Rechtswahl des Erblassers (nach Art. 22 ErbVO) den Verfahrensparteien eine Abweichung von der Aufenthaltszuständigkeit gestattet. Es wird aber auch vertreten, dass die Parteien eine Gerichtsstandsvereinbarung auch dann treffen können, wenn der Erblasser lediglich eine Rechtswahl hinsichtlich der Zulässigkeit und der materielle Wirksamkeit seiner Verfügung von Todes wegen getroffen hatte. Nur eine solche – weite – Interpretation wahre die Interessen der Parteien.