Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 71
Fragen des ehelichen Güterrechts sind gem. Art. 1 Abs. 2 Buchstabe d ErbVO ebenfalls vom Anwendungsbereich ausgenommen.
Das ist aus deutscher Sicht besonders problematisch:
Im Güterstand der Zugewinngemeinschaft wird bekanntermaßen der Erbteil des Ehegatten gem. § 1931 Abs. 3, § 1371 Abs. 1 BGB um das pauschale Viertel erhöht. Wie schon der Wortlaut des § 1371 Abs. 1 BGB zeigt, wird "der Ausgleich des Zugewinns dadurch verwirklicht" dass sich der gesetzliche Erbteil "erhöht" – sogenannte erbrechtliche Lösung.
Wird der Güterstand nicht durch den Tod aufgelöst (sondern durch Scheidung oder Wahl eines anderen Güterstandes), kommt es gem. § 1372 BGB zum Ausgleich des Zugewinns nach den güterrechtlichen Vorschriften der §§ 1373 ff. BGB: Dem Ehegatten mit dem geringeren Zugewinn steht gem. § 1378 Abs. 1 BGB die Hälfte des Überschusses als Ausgleichsforderung gegen den anderen Ehegatten zu – sogenannte güterrechtliche Lösung.
Rz. 72
Mit der Figur der Erbteilserhöhung gem. §§ 1931 Abs. 3, 1371 Abs. 1 BGB (statt der güterrechtlichen Forderung) "verschiebt" der deutsche Gesetzgeber gewissermaßen die Lösung einer güterrechtlichen Konstellation in ein anderes Rechtsgebiet, das Erbrecht. In einem geschlossenen Rechtssystem (innerhalb des deutschen Rechts) kommt es nicht darauf an, aus welchem Bereich des Rechts der Regelungsbefehl kommt; ist also insgesamt nur deutsches Recht anwendbar – wie bei reinen Inlandssachverhalten – ist es für die Lösung gleichgültig, dass ein güterrechtliches Problem mit den Mitteln des Erbrechts gelöst wird.
Rz. 73
Anders ist es aber, wenn es um internationale Erbfälle geht, denn hier muss nun Farbe bekannt werden, wie das Gebilde einzuordnen ist, erbrechtlich oder güterrechtlich.
Beispiel:
Der Erblasser ist Österreicher, er hinterlässt seine Ehefrau und zwei Kinder. Eine Verfügung von Todes wegen liegt nicht vor.
Die Ehefrau hat die deutsche Staatsangehörigkeit, das Ehepaar lebt in Deutschland; hier hatten auch die Ehegatten bei der Eheschließung ihren gewöhnlichen Aufenthalt.
aa) Problematik bei bisheriger Rechtslage
Rz. 74
Legt man die bisherige Rechtslage zu Grunde, ergibt sich folgendes Bild:
Gem. Art. 25 Abs. 1 EGBGB ist österreichisches Erbrecht maßgeblich. Nach § 757 Abs. 1 des österreichischen Erbrechts (ABGB) erhält der Ehegatte eine Erbquote in Höhe von ⅓.
Rz. 75
Die Ehegatten leben aber im deutschen gesetzlichen Güterstand. Das ergibt sich aus Art. 15 EGBGB: Die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe bestimmen sich nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB (i.V.m. Art. 14 Abs. 1 EGBGB). Da die Eheleute verschiedene Staatsangehörigkeiten haben, kommt es auf das Recht des Staates an, in dem beide Ehegatten bei der Eheschließung ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten (Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB). Der Güterstand richtet sich also nach deutschem Recht. Haben die Eheleute keinen Ehevertrag geschlossen, gilt über § 1363 BGB der gesetzliche Güterstand, also die Zugewinngemeinschaft.
Rz. 76
Das deutsche – hier also anwendbare – Güterrecht verschiebt aber die Rechtsfolge in das (deutsche) Erbrecht; deutsches Erbrecht ist jedoch gar nicht anwendbar, sondern österreichisches Erbrecht.
Rz. 77
Es stellt sich nun die Frage, ob das Gebilde der pauschalen Erhöhung des Erbteils des BGB unter das Erbstatut fällt oder unter das Güterrechtsstatut. Lässt man es dem Erbstatut unterfallen, so kann das Gebilde nicht angewendet werden, eben weil das deutsche Erbrecht in diesem Fall gar nicht berufen ist.
Ordnet man dagegen das Gebilde dem Güterrechtsstatut zu, findet § 1371 BGB Anwendung, denn Güterrechtsstatut ist hier deutsches Recht.
Rz. 78
Das Problem, welche Fragen welcher Kollisionsnorm zuzuordnen sind, stellt sich vor allem, wenn ausländische Institute, die dem deutschen Recht fremd sind, in die Systematik der deutschen Kollisionsregelungen einzuordnen sind (z.B. die Morgengabe des islamischen Rechtskreises). Es stellt sich aber auch, wenn ein Rechtsinstitut des deutschen Rechts zwischen zwei Rechtsgebieten zu verorten ist, oder aus Elementen zweier Rechtsbereiche besteht, z.B. die culpa in contrahendo.
Rz. 79
Auch § 1371 Abs. 1 BGB berührt zwei Rechtsgebiete, nämlich das Güterrecht und das Erbrecht: Der Tatbestand der Vorschrift setzt einerseits sowohl den Tod voraus, andererseits das Vorliegen der Zugewinngemeinschaft, die Rechtsfolge betrifft das Erbrecht.
Es geht also darum, den sachlichen Anwendungsbereich der deutschen Kollisionsnormen gegeneinander abzugrenzen bzw. die Sachnorm dem Tatbestand einer Kollisionsnorm zuzuordnen; diesen Vorgang nennt man "Qualifikation".
Rz. 80
Die Qualifikation von § 1371 Abs. 1 BGB ist seit jeher und bis heute lebhaft umstritten.
Z.T. wird vertreten, dass Erbrecht und Güterrecht in dieser Vorschrift so eng verzahnt sind, dass die Vorschrift keiner der beiden Kollisionsnormen (Art. 25 – Erbrecht, Art. 15 – Güterrecht) zugeordnet werden ...