Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 36
Die bedeutsamen Neuerungen in Schlagworten:
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Anknüpfung an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers statt an das Recht der Staatsangehörigkeit (Heimatrecht) |
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Aber Rechtswahl möglich |
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Zuständig sind grundsätzlich die Gerichte am letzten gewöhnlichen Aufenthalt der Erblassers |
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Anerkennung und Vollstreckbarkeit von Entscheidungen EU-weit |
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Einführung eines "EU-Erbscheins" (das europäische Nachlasszeugnis). |
Rz. 37
Die aus deutscher Sicht bedeutendste Neuerung gegenüber dem bisherigen Recht ergibt sich aus Art. 21 ErbVO: Die Erbfolge in das gesamte Vermögen wird danach grundsätzlich dem Recht des Staates unterstellt, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Dieses Recht gilt ohne Rücksicht auf die Art der Nachlassgüter – bewegliches oder unbewegliches Vermögen – und ohne Rücksicht auf den Ort ihrer Belegenheit.
Rz. 38
Damit wird eine parallele Anwendung verschiedener Rechte (Stichwort: "Nachlassspaltung" siehe unten § 3 Rn 52 ff.) vermieden, die ErbVO erteilt also der – nach bisheriger Rechtslage häufigen – gespaltenen Anknüpfung des Erbstatuts eine Absage.
Allerdings eröffnet Art. 22 ErbVO dem Erblasser die Möglichkeit der Rechtswahl: Er kann aber nur sein Heimatrecht (= das Recht, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt) wählen, nicht etwa ein ihm genehmes beliebiges Recht (und auch nicht das Recht seines derzeitigen gewöhnlichen Aufenthalts).
Rz. 39
Wenn eine Rechtswahl vorgenommen wird, ist – wie nach bisheriger Rechtslage – das Heimatrecht des Erblassers also weiterhin maßgeblich, allerdings – anders als nach früherem Recht – dann für den gesamten Nachlass, eine Nachlassspaltung wird es zukünftig kaum mehr geben (zu den wenigen Ausnahmen siehe unten Rn 213).
Rz. 40
Hervorzuheben ist, dass die Kollisionsregeln der ErbVO nicht etwa nur auf Erbfälle anzuwenden sind, die Bezug zur EU haben, vielmehr wird durch Art. 20 der ErbVO klargestellt, dass das nach der ErbVO anwendbare Recht (grundsätzlich also das Recht des Landes, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte) auch dann Anwendung findet, wenn es nicht das Recht eines Mitgliedstaats ist.
Die ErbVO findet daher auf alle "Erbfälle mit grenzüberschreitendem Bezug" (vgl. Erwägensgrund 7) Anwendung.
Rz. 41
Die Erbrechtsverordnung gilt in allen Mitgliedstaaten – außer Dänemark, Irland und dem Vereinigten Königreich – unmittelbar (vgl. Art. 288 AEUV), es bedarf also (anders als bei Staatsverträgen) keines innerstaatlichen Umsetzungsverfahrens in den übrigen Mitgliedstaaten (siehe hierzu § 1 Rn 40).
Rz. 42
Die nicht beteiligten EU Staaten werden von den Mitgliedstaaten wie Drittstaaten behandelt bzw. deren Recht wie ein Drittstaatenrecht. Dieses kann also gleichwohl in der Sache berufen sein (Art. 20 ErbVO).
Die Zuständigkeitsregeln der VO binden aber die sich nicht beteiligenden EU Staaten nicht, ebenso ist eine wechselseitige Anerkennung nach den Regelungen der ErbVO ausgeschlossen.
Rz. 43
Aus deutscher Sicht ist künftig also immer die ErbVO anzuwenden, gleichgültig, welche Staatsangehörigkeit der Erblasser besitzt, gleichgültig, wo er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat und auch gleichgültig, wo sich die Nachlassgüter befinden.
Die Regelung des Art. 25 EGBGB in bisheriger Fassung (Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit) wird damit vollständig verdrängt und wird ab der Anwendbarkeit der ErbVO nur noch für – von da an gesehen – alte Sachverhalte gelten. Das betrifft auch alte Verfügungen von Todes wegen (auch hinsichtlich der Rechtswahl), Art. 83 der ErbVO (siehe oben Rn 4).
Rz. 44
Auch die Möglichkeit, die das bisherige Recht mit Art. 25 Abs. 2 EGBGB bietet, entfällt dann künftig: Eine beschränkte Rechtswahl, wie sie diese Vorschrift für in Deutschland belegene Immobilien bisher vorgesehen hat, ist nach Anwendbarkeit der VO nicht mehr möglich. Eine vor Anwendbarkeit der ErbVO nach Art. 25 Abs. 2 EGBGB wirksam vorgenommene Wahl bleibt allerdings gem Art. 83 Abs. 2 der VO auch dann wirksam, wenn der Erbfall erst nach Anwendbarkeit der ErbVO eintritt; insofern kann es auch bei Anwendbarkeit der ErbVO weiterhin zu einer Berufung unterschiedlicher Rechte in einem Erbfall kommen. Diese Fälle "laufen aber aus", denn sie können sich nur auf Fälle beziehen, in denen der Erblasser seine Verfügung von Todes wegen vor Anwendbarkeit der ErbVO errichtet hatte (also vor dem 17.8.2015).