Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 264
Unklarheiten bestehen auch bei der Regelung des Art. 8 der ErbVO.
Ausdrücklich ist dort die Möglichkeit der Parteien vorgesehen, "die Erbsache" in dem Mitgliedstaat, dessen Recht der Erblasser nach Art. 22 ErbVO gewählt hatte, außergerichtlich einvernehmlich zu regeln. In diesem Fall hat das nach Art. 4 oder Art. 10 ErbVO zuständige Gericht das Verfahren zu beenden.
Dies gilt aufgrund der ausdrücklichen Regelung im ersten Halbsatz der Vorschrift selbst für solche Verfahren, die von Amts wegen eingeleitet worden sind. Die Vorschrift wird allerdings für die deutschen Gerichte nur in Einzelfällen von Interesse sein. Das streitige Verfahren wird nie von Amts wegen eingeleitet, und auch Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit sehen grundsätzlich eine Verfahrenseinleitung nur auf Antrag vor (insbesondere im Erbscheinsverfahren: der Erbschein und auch das europäische Nachlasszeugnis werden nur auf Antrag erteilt, vgl. § 2353 ff. BGB einerseits, Art. 65 ErbVO andererseits).
Rz. 265
Aus deutscher Sicht kommt im Zusammenhang mit Art. 8 ErbVO vor allem ein Verfahren zur Nachlasssicherung in Frage, denn dieses ist von Amts wegen einzuleiten, auch wenn dem Gericht Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Sicherungsbedürfnisses eingeräumt ist (vgl. § 1960 Abs. 1 S. 1 BGB: "… hat das Nachlassgericht für die Sicherung des Nachlasses zu sorgen,…").
Rz. 266
Nach deutschem Recht haben die Parteien keine Möglichkeit, dem Gericht das Verfahren nach § 1960 BGB zu entziehen, (sie können allenfalls Einfluss darauf nehmen, dass die Voraussetzungen entfallen, in dem sie etwa selbst Handlungen vornehmen, die das Sicherungsbedürfnis entfallen lassen). Die ErbVO greift also hier in die internen mitgliedstaatlichen Verfahrensregelungen ein; ein deutsches Gericht müsste das amtswegig eingeleitete Verfahren also beenden, wenn die Parteien eine außergerichtliche einvernehmlichen Regelung im Staat des vom Erblasser gewählten Rechts vereinbaren.
Rz. 267
Eine Regelung, wie diese Vereinbarung auszusehen hat, fehlt; ob Art. 5 Abs. 2 ErbVO entsprechend anzuwenden ist und mindestens die dort vorgesehene Form zu fordern ist, ist zumindest nicht ausdrücklich geregelt. Ebenso fehlt es an einer Bestimmung, welches Recht auf eine solch einvernehmliche Regelung anzuwenden ist (auch hier liegt es nahe, auf diese Vereinbarung das vom Erblasser gewählte Recht anzuwenden).
Rz. 268
Der erste Halbsatz von Art. 8 ErbVO spricht ausdrücklich nur von Verfahren, die von Amts wegen eingeleitet worden sind, nicht dagegen von Antragsverfahren. Es stellt sich also die Frage, ob auch Antragsverfahren durch eine entsprechende Parteivereinbarung beendet werden können. Grundsätzlich werden alle Verfahrensrechte dem Antragsteller im Antragsverfahren das Recht zubilligen, den Antrag zurückzunehmen bzw. nicht weiterzuverfolgen und das Verfahren ruhen zu lassen; mutmaßlich muss Art. 8 ErbVO im Sinne eines Erst-Recht-Schlusses dahin verstanden werden, dass eine solche Parteivereinbarung zur einvernehmlichen außergerichtlichen Regelung auch in Antragsverfahren zur Beendigung führt. Diese Interpretation lässt sich auf die Ausführungen in Erwägensgrund 29 Abs. 2 stützen, der im Übrigen als Beispiel die außergerichtliche Einigung vor einem Notar angibt. Aus Erwägensgrund 29 Abs. 3 ergibt sich insoweit eine Klarstellung, als Art. 8 ErbVO auch dann gilt, wenn das gewählte Recht nicht das eines Mitgliedstaates ist (so dass die einvernehmlichen außergerichtliche Regelung der Sache in einem Nicht-EU-Staat erfolgt).