Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 92
Der Ausschluss des Art. 1 Abs. 2 Buchstabe g ErbVO betrifft Rechtsgeschäfte unter Lebenden. Hierunter fallen sämtliche lebzeitigen Übertragungen, Zuwendungen aus Versicherungsleistungen, Rentenplänen usw., soweit sie nicht aus dem Nachlass des Erblassers erfolgen.
Rz. 93
Lebzeitige unentgeltliche Zuwendungen fallen nicht unter das Erbstatut, sondern unter das Vertragsstatut. Ihre Anknüpfung richtet sich nach der Rom I VO. Nach Art. 3 der Rom I VO können die Parteien das anwendbare Recht wählen. Wird keine Rechtswahl getroffen, bestimmt sich das anwendbare Recht gem. Art. 4 der Rom I VO nach objektiven Kriterien. Bei einer Schenkung ist i.d.R. über Art. 4 Abs. 2 der Rom I VO das Recht des Staates anwendbar, in dem die Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung erbringt, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (das ist der Schenker). Eine andere Anknüpfung gilt, wenn die Schenkung ein dingliches Recht an einem Grundstück betrifft, dann gilt das Recht des Lageorts (Art. 4 Abs. 1 Buchstabe c Rom I VO).
Rz. 94
Zu beachten ist bei Schenkungen aber, dass dem Erbstatut der ErbVO nach Art. 23 Abs. 2 Buchstabe i ausdrücklich auch Ausgleichung und Anrechnung unentgeltlicher (lebzeitiger) Zuwendungen unterfallen (vgl. für das deutsche Recht § 2050 ff. BGB). Gleiches gilt für die Anrechnung im Pflichtteilsrecht (vgl. § 2315 BGB), denn insoweit gilt Art. 23 Abs. 2 Buchstabe h ErbVO, der das gesamte Pflichtteilsrecht erfasst, und damit neben Ausgleichung und Anrechnung auch die Pflichtteilsergänzung, die im Hinblick auf lebzeitige Schenkungen erfolgt (vgl. § 2325 BGB).
aa) Joint Tenancy
Rz. 95
Durch Art. 1 Abs. 2 Buchstabe g ErbVO ausdrücklich ausgeschlossen ist auch die joint tenancy, eine Figur des angloamerikanischen Rechtskreises: Mehrere Personen haben ein Recht gemeinschaftlich erworben; nach dem Tode wächst der Anteil des Verstorbenen den übrigen tenants automatisch an; der Erwerb vollzieht sich dabei außerhalb der Rechtsnachfolge von Todes wegen. Der Erwerb ist deshalb – auch nach bisheriger Rechtslage – sachenrechtlich zu qualifizieren und unterliegt damit aus deutscher Sicht auch künftig Art. 43 EGBGB, also dem Recht des Staates, in dem sich der betroffene Vermögensgegenstand befindet.
bb) Schenkungen auf den Todesfall
Rz. 96
Nicht ausdrücklich geregelt ist das Schicksal einer Schenkung auf den Todesfall. Hier geht es um die Grenzziehung zwischen Schuldrecht und Erbrecht: Mit den Möglichkeiten des Schuldrechts – z.B. Schenkung unter der Bedingung, dass der Beschenkte den Schenker überlebt – könnte der erbrechtliche Erwerb "ausgehebelt" werden, und die Vermögenswerte könnten unter Umgehung des Erbrechts übertragen werden. Damit besteht die Gefahr, dass das erbrechtliche System unterlaufen wird und damit auch die Schutzmechanismen des Erbrechts, wie z.B. das Pflichtteilsrecht und der strenge Formzwang bei Verfügungen von Todes wegen.
Rz. 97
Der deutsche Gesetzgeber hat diese Abgrenzung in § 2301 BGB geregelt, nach dieser Vorschrift finden für Schenkungen auf den Todesfall die Vorschriften über die Verfügungen von Todes wegen Anwendung. Damit muss das Versprechen also in der Form eines Erbvertrages (oder Testaments) erfolgen. Anders ist es nach deutschem Recht nur, wenn die Schenkung zu Lebzeiten des Erblassers vollzogen wurde (§ 2301 Abs. 2 BGB), wenn also der Verlust den Erblasser selbst trifft und nicht erst seine Erben (dann Schenkung).
Rz. 98
Der lebzeitige Vollzug ist hier also das entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen der Schenkung einerseits (die nicht der ErbVO, sondern der Rom I VO unterfällt) und der Schenkung auf den Todesfall.
Rz. 99
Geht es um Schenkungen hinsichtlich beweglicher Gegenstände, ergibt sich allerdings in der Regel kein Unterschied im Hinblick auf das anwendbare Recht, egal, ob die Anknüpfung gemäß der Rom I VO oder gemäß der ErbVO erfolgt: Wird die Schenkung den Anknüpfungsregelungen der Rom I VO unterstellt, ist grundsätzlich das Recht des Staates anwendbar, in dem der Schenker (Erblasser) seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (siehe oben Rn 93); die Anknüpfungsregeln der ErbVO berufen ebenfalls das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers (Schenkers), berufen ist also jeweils das gleiche Recht, so dass in diesen Fällen nicht entschieden werden muss, wie die Schenkung von Todes wegen einzuordnen ist.
Anderes gilt nur, sofern der Erblasser sein Heimatrecht gewählt hatte (sofern man die Schenkung auf den Todesfall der ErbVO unterwirft) bzw. sofern die Parteien das anwendbare Recht vereinbart hatten (sofern für die Schenkung auf den Todesfall die Regelungen der Rom I VO gelte...