Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 286
Entscheidungen der Gerichte eines Mitgliedstaats werden in den anderen Mitgliedstaaten gem. Art. 39 Abs. 1 ErbVO anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens in den übrigen Mitgliedstaaten bedarf. Diese Regelung – flankiert von den Bestimmungen der Artt. 43 ff. ErbVO über die Vollstreckbarkeit – fußt auf dem (erstmals) in der Brüssel I VO niedergelegten Gedanken des gegenseitigen Vertrauens der EU-Mitgliedstaaten untereinander in die jeweilige Justiz. Das Konzept der EU-weiten "unproblematischen" Anerkennung und Vollstreckbarkeit von Entscheidungen, die in einem Mitgliedstaat ergangen sind, war seinerzeit "bahnbrechend", es ist inzwischen etabliert (vgl. § 1 Rn 41, 42).
Rz. 287
Nach der Begriffsbestimmung des Art. 3 Abs. 1 Buchstabe g ErbVO ist eine Entscheidung in diesem Sinne jede von einem Gericht eines Mitgliedstaates in einer Erbsache erlassene Entscheidung. Gem. Art. 3 Abs. 2 ErbVO bezeichnet der Begriff "Gericht" nicht nur Gerichte, sondern auch sonstige Behörden und Angehörige von Rechtsberufen, die gerichtliche Funktionen ausüben.
Die Mitgliedstaaten müssen gem. Art. 79 Abs. 1 ErbVO mitteilen, welche sonstigen Stellen als Gericht i.S.d. Verordnung anzusehen sind; die Liste wird gem. Art. 79 Abs. 3 ErbVO im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht bzw. der Öffentlichkeit auf andere geeignete Weise zugänglich gemacht (Art. 79 Abs. 4 ErbVO). In Deutschland betrifft das die Notare in Baden-Württemberg, soweit das Notariat als Nachlassgericht tätig wird, nicht dagegen Notare, die keine gerichtlichen Funktionen ausüben.
Rz. 288
Entscheidungen der streitigen Gerichtsbarkeit (zu denken ist aus deutscher Sicht z.B. an ein Urteil über einen Anspruch gem. § 2018 BGB) werden also grundsätzlich EU-weit anerkannt, ohne dass ein besonderes Anerkennungsverfahren durchlaufen werden muss. Gem. Art. 39 Abs. 2 ErbVO kann die Anerkennung auf Antrag allerdings gerichtlich festgestellt werden und zwar im Verfahren zur Vollstreckbarkeit durch das nach Art. 45 ErbVO zuständige Gericht.
Art. 40 ErbVO regelt abschließend die Gründe für die Nichtanerkennung einer Entscheidung; die Anerkennung darf nur bei schwerwiegenden Verstößen gegen materielle oder prozessuale Rechte versagt werden (Art. 40 Buchstabe a, b ErbVO) oder in dem Fall, dass die anzuerkennende Entscheidung im Widerspruch zu einer bereits ergangenen Entscheidung des Anerkennungsstaates zum gleichen Streitgegenstand oder zwischen denselben Parteien steht (Art. 40 Buchstabe c, d ErbVO).
Rz. 289
Gleichzeitig ergibt sich aus Art. 41 ErbVO, dass die in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden darf.
Rz. 290
Ist eine Entscheidung anzuerkennen, kann der Antragsteller einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen im Vollstreckungsmitgliedstaat nach dessen Recht in Anspruch nehmen, ohne dass es zuvor einer Vollstreckbarerklärung bedarf (Art. 54 ErbVO).