Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 405
Dieses Abkommen enthält sowohl Regelungen zur Zuständigkeit als auch zum anwendbaren Recht. Gem. § 15 S. 1 des Nachlassabkommens besteht die Internationale Zuständigkeit in Erbstreitigkeiten bei den Gerichten des Heimatstaates soweit es sich um den beweglichen Nachlass handelt, soweit es sich um den unbeweglichen Nachlass handelt bei den Gerichten des Lageorts.
Rz. 406
Die Regelungen der ErbVO im Hinblick auf die Internationale Zuständigkeit am gewöhnlichen Aufenthaltsort sind daher nicht anwendbar, sie werden von § 15 des Nachlassabkommens verdrängt, der jedoch nur die streitige Gerichtsbarkeit betrifft.
Für türkische Staatsangehörige mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland bedeutet dies, dass bei streitigen Verfahren ausschließlich die türkischen Gerichte zuständig sind, wenn der Erblasser die türkische Staatsangehörigkeit hatte (so weit nicht unbeweglicher Nachlass betroffen ist).
Rz. 407
Nach bisheriger Rechtslage ging es darum, dass das Abkommen die Zuständigkeitsregelungen der ZPO (nämlich §§ 12 und § 27 ZPO, bei denen die Internationale Zuständigkeit mitgeregelt ist) verdrängte. Klagen auf Herausgabe von beweglichen Nachlassgegenständen oder die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen oder etwa auch Ansprüche des Vermächtnisnehmers auf Erfüllung konnte also nicht bei den deutschen Gerichten eingeklagt werden, sie können ausschließlich von den türkischen Gerichten entschieden werden, selbst wenn alle Beteiligten ihren gewöhnlichen Aufenthalt (bzw. ihren Wohnsitz) ausschließlich in Deutschland haben. Diese Rechtslage war insbesondere angesichts der Zahl der in Deutschland lebenden Personen mit türkischer Staatsangehörigkeit – etwa 2 Millionen Menschen – ganz offensichtlich lebensfremd und nicht mehr zeitgemäß; sie wurde auch allgemein kritisiert.
Rz. 408
Sofern der deutsch-türkische Konsularvertrag nicht gekündigt wird, wird diese unbefriedigende Rechtslage auch nach Geltung der ErbVO perpetuiert; der Prozess ist weiterhin ausschließlich in der Türkei zu führen, soweit es um bewegliches Vermögen geht.
Rz. 409
Geht es um eine erbrechtliche Streitigkeit im Hinblick auf den unbeweglichen Nachlass eines türkischen Erblassers in Deutschland, sind die deutschen Gerichte gem. § 15 des Abkommens zuständig, wobei es dann – auch nach Anwendbarkeit der ErbVO – entgegen Art. 4 ErbVO nicht darauf ankommt, ob der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte. Gegebenenfalls sind also nach wie vor zwei verschiedene Streitverfahren (in Deutschland und in der Türkei) zu führen.
Rz. 410
Auch im Hinblick auf das anwendbare Recht gehen die Regelungen des Nachlassabkommens denjenigen der ErbVO vor. § 14 des Abkommens trennt für das anwendbare Recht zwischen beweglichem und unbeweglichem Nachlass, der bewegliche Nachlass vererbt sich nach dem Heimatrecht des Erblassers, der unbewegliche Nachlass nach dem Lageort. Hinterlässt ein deutscher Staatsangehöriger Immobilien in der Türkei, richtet sich die Erbfolge insoweit nach türkischem Erbrecht (ansonsten galt bislang Art. 25 Abs. 1 EGBGB, die Erbfolge in das restliche Vermögen richtet sich nach deutschem Recht). Hinterlässt ein türkischer Staatsangehöriger Immobilien in Deutschland, gilt für die Erbfolge hinsichtlich der Grundstücke auch künftig deutsches Recht, ansonsten wird er nach türkischem Recht beerbt.
Die Rechtswahlmöglichkeiten, die die ErbVO bietet, stehen einem türkischen Erblasser auch dann nicht zu, wenn er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat.
Rz. 411
Im Hinblick auf die Zuständigkeit zur Erteilung eines deutschen Erbscheins gilt kein Vorrang des Nachlassabkommens, das Nachlassabkommen regelt in § 17 nur, dass erbrechtliche Zeugnisse im deutsch-türkischen Verhältnis wechselseitig anzuerkennen sind, soweit es sich um beweglichen Nachlass handelt. Damit waren bislang die deutschen Gerichte über § 105 i.V.m. § 343 Abs. 1 FamFG international zuständig, sofern der Erblasser beim Erbfall hier seinen Wohnsitz (oder Aufenthalt) hatte, oder – sofern das nicht der Fall war – sich Nachlassgegenstände in Deutschland befinden.
Rz. 412
Im Hinblick auf die ErbVO gilt insoweit kein Vorrang des Nachlassabkommens; künftig wird sich daher die Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Erteilung eines deutschen Erbscheins (und des ENZ) aus Art. 4 ErbVO ergeben, wenn der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte. Hat also der türkische Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, sind die deutschen Gerichte über die Grundregel des Art. 4 ErbVO zuständig. Im Hinblick auf die Frage des anwendbaren Rechts gelten aber nicht die Kollisionsregeln der ErbVO, sondern unmittelbar der deutsch-türkische Konsularvertrag. Hat der Erblasser Vermögen in Deutschland, so richtet sich die Erbfolge in das bewegliche Vermögen nach türkischem Recht, die Erbfolge in die (deutschen) Immobilien unterliegt dagegen deutschem Recht (Recht des Lageorts). Der deutsche Erbschein muss in diesem Falle die Rechtslage sowohl nach ...