Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 230
Die internationale Regelzuständigkeit in Nachlasssachen besteht gem. Art. 4 ErbVO in dem Mitgliedstaat, in dem der Verstorbene seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Das Gericht in diesem Staat wendet also regelmäßig (abgesehen von einer Rechtswahl des Erblassers) sein eigenes Recht an (und zwar im Hinblick auf alle Nachlassgegenstände). Damit werden zeitaufwändige Recherchen des Gerichts über fremdes Recht vermieden, in aller Regel begünstigt der Gleichlauf von Zuständigkeit und anwendbarem Recht naturgemäß eine schnelle, kompetente und kostengünstige Lösung des jeweiligen Erbfalls.
Die Zuweisung der Internationalen Zuständigkeit an die Gerichte des gewöhnlichen Aufenthalts entspricht den übrigen EU-Verordnungen (Brüssel I VO, Brüssel II a VO); am gewöhnlichen Aufenthalt ist in den meisten Fällen auch der Nachlass oder meist zumindest der Großteil des Nachlasses belegen.
Die Zuständigkeit betrifft aber den gesamten Nachlass, wie Art. 4 ErbVO ausdrücklich hervorhebt, es kommt also nicht darauf an, in welchem Staat sich Nachlassgegenstände befinden, sondern die Zuständigkeit der Gerichte am gewöhnlichen Aufenthalt besteht für das gesamte Vermögen des Erblassers weltweit.
Rz. 231
Innerhalb der EU gelten damit einheitliche Zuständigkeitsregelungen; keine Aussage kann die ErbVO aber dazu treffen, ob Drittstaaten, in denen sich etwa Vermögensgegenstände des Erblassers befinden, die Entscheidung des betreffenden EU Gerichts anerkennen. Diese Frage unterliegt weiterhin dem jeweiligen nationalen Rechts des betreffenden Drittstaates.
Rz. 232
Für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne der Zuständigkeitsregelung gelten die gleichen Kriterien wie bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts (vgl. Rn 130 ff.) jedoch mit Ausnahme der Ausweichklausel des Art. 21 Abs. 2 ErbVO. Im Hinblick auf das anwendbare Recht besteht ausnahmsweise die Möglichkeit, abweichend vom Recht des gewöhnlichen Aufenthalts auf das Recht abzustellen, mit dem der Erblasser eine offensichtliche engere Verbindung hatte; für die Zuständigkeitsregelung gibt es keine vergleichbare Ausweichklausel, sodass die Zuständigkeit der Gerichte am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers gem. Art. 4 ErbVO nicht berührt wird. Sie besteht also selbst dann (fort), wenn das Gericht ausnahmsweise über Art. 21 Abs. 2 ErbVO – wegen der offensichtliche engere Verbindung des Erblassers zu einem anderen Staat – zur Anwendung dieses anderen Rechts gelangt. Das gilt auch in den Fällen, in denen das Gericht zur Anwendung des Rechts eines Drittstaates gelangt.
Rz. 233
Befinden sich Nachlassgegenstände in Drittstaaten, können die Parteien nach Art. 12 Abs. 1 ErbVO den Antrag stellen, dass das Gericht nicht über Vermögenswerte befinde, die in einem Drittstaat belegen sind. Das Gericht muss dem Antrag nicht folgen, kann ihm aber folgen, wenn zu erwarten ist, dass seine Entscheidung in dem Drittstaat nicht anerkannt oder gegebenenfalls nicht für vollstreckbar erklärt wird. Ein solcher Antrag ist sinnvoll im Hinblick darauf, dass Drittstaaten grundsätzlich EU- Entscheidungen nicht anerkennen.