Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 222
Die Internationale gerichtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach Artt. 3–15 der ErbVO. Hervorzuheben ist, dass die Regelung der sachlichen, örtlichen und funktionellen Zuständigkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten diesen überlassen bleibt; nach Art. 2 ErbVO werden die innerstaatlichen Zuständigkeiten nicht berührt. Dieses Vorgehen entspricht gewachsener Tradition bei den Verordnungen der EU. Die "interne" Zuständigkeit wird also von der ErbVO gar nicht geregelt.
In Deutschland werden die Zuständigkeiten im IntErbRVG geregelt. § 2 IntErbRVG regelt die Zuständigkeit für Bürgerlichen Streitigkeiten (also den Bereich der streitigen Gerichtsbarkeit), § 34 regelt die örtliche und sachliche Zuständigkeit für die Ausstellung des ENZ. § 47 regelt die Zuständigkeit für den Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit und verweist dafür auf die Regelung in § 2 bzw. das FamFG.
Rz. 223
Bemerkenswert ist, dass sich die Internationale Zuständigkeit in "Verfahren, die nicht vom Zuständigkeitsregime der ErbVO erfasst werden" weiterhin nach § 105, § 343 n.F. richten soll. Das betrifft z.B. die amtliche Verwahrung von Verfügungen von Todes wegen, aber – ausweislich der Begründung zu § 343 n.F. (RegE) – überraschenderweise auch die Erteilung von Erbscheinen und sonstigen Zeugnissen nach § 342 Abs. 1 Nr. 6 FamFG (der nicht geändert wurde).
Damit kann in Deutschland ein Erbschein auch dann beantragt werden, wenn die Internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht auf den Regelungen der ErbVO fußt, es soll also – trotz des Auslandsbezugs – bei einer nationalen Regelung zur Internationalen Zuständigkeit bleiben (vgl. dazu oben Rn 25 ff.). Der deutsche Gesetzgeber hat sich damit – in Abkehr von der ursprünglich im Referentenentwurf vorgesehenen Regelung – der Sichtweise angeschlossen, dass sich die Zuständigkeit für die Erteilung eines deutschen Erbscheins künftig nicht ausschließlich nach Art. 4 ff. ErbVO richtet.
Rz. 224
Die Zuständigkeitsregelungen der ErbVO gelten nicht nur für Gerichte, sondern auch "für Behörden und Angehörige von Rechtsberufen mit Zuständigkeiten in Erbsachen, die gerichtliche Funktionen ausüben oder in Ausübung einer Befugnisübertragung durch ein Gericht handeln" (Art. 3 Abs. 2 ErbVO). Das erklärt sich daraus, dass in vielen Ländern insbesondere den Notaren die Ausstellung eines Erbnachweises obliegt. In Erwägungsgrund 21 ist dazu ausgeführt, dass die Anwendung der Zuständigkeitsregelungen auf Notare davon abhängt, ob diese von der Bestimmung des Begriffs "Gericht" erfasst werden. Auf Deutschland bezogen geht es bei der notariellen Zuständigkeit nur um die baden-württembergischen Notare, weil nur diese gerichtliche Funktionen i.S.d. Art. 3 Abs. 2 ErbVO ausüben.
Rz. 225
Die Vorschriften der ErbVO gelten gleichermaßen für alle Verfahren (streitige Verfahren und Nachlassverfahren), die ErbVO trifft insofern gar keine Unterscheidung zwischen Nachlass- und streitigen Verfahren im Sinne des deutschen Rechtsverständnisses. Auch die Zuständigkeitsregelungen der ZPO bleiben daher inhaltlich erhalten, soweit es um die örtliche und sachliche Zuständigkeit geht (§§ 12, 13, 27 ZPO, allerdings werden die (örtlichen) Zuständigkeitsregelungen im neuen § 2 IntErbRVG gebündelt und zusammengefasst geregelt), während auch insoweit künftig die ErbVO die Regelungen zur Internationalen Zuständigkeit bereitstellt. Diese finden Anwendung unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Erblassers; d.h. aus deutscher Sicht ist die Frage der Internationalen Zuständigkeit immer nach der ErbVO zu bestimmen, gleichgültig, ob nur das EU-Ausland betroffen ist oder auch Sachverhalte mit Bezug zu Nicht-EU-Staaten (Drittstaaten; bzw. EU-Staaten, für die die ErbVO nicht gilt).
Rz. 226
Da die ErbVO naturgemäß die Internationale Zuständigkeit nur für die EU Mitgliedstaaten regeln kann, ansonsten aber die Regelungen der ErbVO – insbesondere für die Frage des anwendbaren Rechts – universelle Anwendung über die EU hinaus findet, mussten auch Fälle berücksichtigt werden, in denen der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht innerhalb der Mitgliedstaaten hat. Für derartige Fälle kann das EU-Recht keine Regelung über die Zuständigkeit eines Drittstaates treffen, wohl aber für die Zuständigkeit innerhalb der EU. Für derartige Fälle sieht die ErbVO in bestimmten Fällen eine subsidiäre Zuständigkeitsregelung vor (Art. 10 ErbVO). Desgleichen ist eine Notzuständigkeit vorgesehen (Art. 11 ErbVO).
Rz. 227
Leitgedanke der ErbVO ist der Gleichlauf zwischen der Internationalen Zuständigkeit und dem anwendbaren Recht (Gleichlauf von forum und lex), so dass grundsätzlich das angerufene Gericht stets sein eigenes Erbrecht anwenden kann. Dazu wird in Erwägungsgrund 27 ausgeführt, dass dieser Gleichlauf das angestrebte Ziel der ErbVO ist, denn die Vorschriften dieser Verordnung sind bewusst so angelegt worden, dass die mit der Sache befassten Behörden in den meisten Situationen ihr eigenes Recht anwenden können.