Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 170
Da sich das auf die Rechtsnachfolge anwendbare Recht im Laufe des Lebens des Erblassers ändern kann – durch Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts, durch Rechtswahl bzw. Änderung der Rechtswahl – würde eine vorausschauende Nachlassplanung (zu Lebzeiten des Erblassers) stets mit dem Risiko behaftet sein, dass die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Verfügung von Todes wegen im Todesfall einem anderen Recht unterworfen sind als jenem, an dem die Nachlassplanung ausgerichtet wurde. Die ErbVO muss also sicherstellen, dass eine Verfügung von Todes wegen auch dann Bestandskraft hat, wenn sich das anwendbare Recht später ändert.
Rz. 171
Die Anknüpfungen für die Form, Zulässigkeit und die materielle Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen müssen also aus dem Bereich des Erbstatuts ausgenommen werden, damit der Erblasser schon zu Lebzeiten sicher sein kann, dass seine Verfügung von Todes wegen beim Todesfall Wirksamkeit entfaltet, unabhängig davon, welches Recht ansonsten auf die Rechtsnachfolge Anwendung findet.
Rz. 172
Die ErbVO unterscheidet dabei nochmals zwischen der Anknüpfung für die Form der Verfügung von Todes wegen (Art. 27 ErbVO) und der Anknüpfung der übrigen Errichtungsvoraussetzungen – Zulässigkeit und materielle Wirksamkeit – andererseits.
Für die Zulässigkeit und materielle Wirksamkeit wird überdies ferner zwischen Erbverträgen (Art. 25 ErbVO) und übrigen Verfügungen von Todes wegen außer Erbverträgen (Art. 24 ErbVO) unterschieden. Die Bindungswirkung wird von der ErbVO nur beim Erbvertrag angesprochen, nicht dagegen bei den übrigen Verfügungen von Todes wegen, sodass sich aus deutscher Sicht insbesondere die Frage nach der Bindungswirkung von wechselbezüglichen Verfügungen im gemeinschaftlichen Ehegattentestament stellt.
1. Form (Art. 27 ErbVO)
Rz. 173
Die Anknüpfung der Form der Verfügung von Todes wegen ist unübersichtlich, weil nach Art. 75 Abs. 1 Unterabschnitt 2 ErbVO Staaten, die Vertragsparteien des Haager Testaments Übereinkommens – wie Deutschland – sind, dieses weiterhin anzuwenden haben.
Aus deutscher Sicht ist daher bei der Anknüpfung der Form zwischen Testamenten und Erbverträgen zu unterscheiden. Für die Form von Testamenten gilt aus deutscher Sicht über Art 26 n.F. EGBGB weiterhin das Testamentsübereinkommen Die Auswirkungen für die Praxis sind zu vernachlässigen, weil die ErbVO ebenfalls die Regelungen des Testamentsformübereinkommens übernommen hat.
Rz. 174
Die Form von Erbverträgen richtet sich aus deutscher Sichtunmittelbar nach den Anknüpfungsalternativen des Art. 27 ErbVO, weil Erbverträge vom Testamentsformübereinkommen nicht erfasst sind (konsequent verweist Art 26 Abs 2 n.F. EGBGB unmittelbar auf Art. 27 der ErbVO).
Nach Art. 27 Abs. 1 ErbVO beurteilt sich die Formwirksamkeit eines Erbvertrages alternativ
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nach dem Recht des Staates, in dem er abgeschlossen wurde (Buchstabe a) |
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oder gemäß dem Heimatrecht des Staates, dem zumindest eine der Vertragsparteien angehörte (Buchstabe b) |
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oder ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Buchstabe c bzw. d). |
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Soweit unbewegliches Vermögen betroffen ist, ist der Vertrag auch wirksam, wenn er den Formerfordernissen des Staates gerecht wird, in dem sich das Grundstück befindet (Buchstabe e). |
Rz. 175
Die vielen unterschiedlichen alternativen Anknüpfungsmöglichkeiten führen dazu, dass in fast allen Fällen die Form ("unproblematisch") gewahrt werden kann; weder Testamente noch Erbverträge werden hinsichtlich ihrer Form unwirksam sein.
Rz. 176
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang aber, dass ein Wahlrecht des Erblassers in Bezug auf die Anknüpfung der Form darüber hinaus nicht besteht, d.h. es muss zwingend die Form eines der durch die ErbVO (bzw. Art. 26 EGBGB n.F.) zur Verfügung gestellten Rechte erfüllt sein; der Erblasser kann das auf die Form anwendbare Recht nicht abweichend regeln, insoweit besteht also nicht die Möglichkeit, über den Katalog der zur Verfügung gestellten Rechte ein anderes weiteres Recht zu wählen.
2. Zulässigkeit und materielle Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen
a) Einseitige Testamente
Rz. 177
Art. 24 Abs. 1 ErbVO unterstellt die Zulässigkeit und die materielle Wirksamkeit von Testamenten dem Recht, das auf den Erbfall anwendbar wäre, wenn er sich im Zeitpunkt der Testamentserrichtung ereignet hätte (Errichtungsstatut/hypothetisches Erbstatut). Welches Recht das ist, hängt wiederum zunächst davon ab, ob der Erblasser eine Rechtswahl getroffen hatte (dann ist gem. Art. 22 ErbVO dieses Recht maßgeblich) oder nicht (dann ist das Recht des – jetzigen – gewöhnlichen Aufenthalts berufen).
Rz. 178
Nach Art. 24 Abs. 2 ErbVO besteht darüber hinaus die Möglichkeit der "isolierten" Rechtswahl für die Zulässigkeit und materielle Wirksamkeit. Der Erblasser kann also – auch ohne im Übrigen eine Rechtswahl nach Art. 22 ErbVO für das insgesamt anzuwendende Recht vorzunehmen – bestimmen, dass sein Heimatrecht (nur) für die Zulässigkeit und die materielle Wirksamkeit der Verfügung von Todes wegen maßgeblich ist. Das hat zur Konsequenz, dass z.B. das Pflichtteilsrecht dann ...