Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 272
Die Regelungen der ErbVO zur Internationalen Zuständigkeit sind also sehr komplex und zum Teil unübersichtlich. Ferner sind etliche Fragen ausgespart, erst die laufende Anwendung des neuen Rechts wird hier Klarheit schaffen können.
Es steht zu hoffen, dass sich bei all den offenen Fragen innerhalb der Mitgliedstaaten in der EU ein Konsens ergeben wird; derzeitig ist nicht absehbar, wie sich die Gerichte entscheiden werden, sodass insoweit noch keine zuverlässige Einschätzung möglich ist.
1. Überblick über die Zuständigkeitsregelungen bei Rechtswahl
Rz. 273
Gewöhnlicher Aufenthalt des Erblassers liegt im Mitgliedstaat X, der Erblasser hatte das Recht des Mitgliedstaates X gewählt = Art. 4 ErbV0, Zuständigkeit von X (+) für gesamten Nachlass, die Rechtswahl wirkt sich nicht aus, andere Zuständigkeiten (-), egal ob das Gericht ein anderes Gericht für besser geeignet hält, gleichgültig auch, ob die Parteien die Abgabe beantragen – keine Abgabemöglichkeit.
Gewöhnlicher Aufenthalt des Erblassers liegt im Mitgliedstaat X, der Erblasser hatte das Recht des EU Mitgliedstaates Y gewählt.
Rz. 274
Variante 1: angerufen wird das Gericht im Staat EU Staat X (= zuständig nach Art. 4 ErbVO, gewöhnlicher Aufenthalt in X).
Das Gericht in X prüft Art. 6b und 6a ErbVO – Zuständigkeitsvereinbarung? Ja, liegt vor. Folge: X erklärt sich – zwingend – für unzuständig.
Eine Zuständigkeitsvereinbarung fehlt, aber Antrag einer Partei und das Gericht in X hält Gericht in Y für besser geeignet: X kann sich für unzuständig erklären und tut dies.
Folge: Zuständigkeit der Gerichte in Y über Art. 7a ErbVO.
Gericht in X hält Gericht in Y besser geeignet, aber keine Partei stellt einen Verweisungsantrag = X bleibt zuständig, keine Abgabemöglichkeit.
Gericht in X hält sich selbst für geeigneter als Gericht in Y = X erklärt sich nicht für unzuständig (auf einen etwaigen Verweisungsantrag kommt es nicht an) = Zuständigkeit in X bleibt bestehen
Liegt keine Zuständigkeitsvereinbarung und kein Antrag vor, kommt es nicht darauf an, ob das Gericht in X das Gericht in Y für besser geeignet hält, eine Abgabemöglichkeit besteht nicht.
Rz. 275
Variante 2: Bei gleichem Sachverhalt wird nicht das Gericht im EU Staat X angerufen, sondern das Gericht im EU Staat Y (Recht von Y durch den Erblasser gewählt).
Zuständigkeit von Y (+) gemäß Art. 7 wenn
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eine Gerichtsstandsvereinbarung vorliegt Art. 7b ErbVO |
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zwar keine Gerichtsstandsvereinbarung vorliegt, aber ausdrückliche Anerkennung erfolgt, diese steht der Gerichtsstandsvereinbarung gleich, Art. 7c ErbVO |
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Gerichtsstandsvereinbarung ist fehlerhaft (nicht alle Parteien) und auch ausdrückliche Anerkennung fehlt, aber rügelose Einlassung., Art. 9 Abs. 1 ErbVO |
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Mangel der Zuständigkeit wird gerügt: keine Zuständigkeit von Y; Folge: Y erklärt sich für unzuständig (Art. 9 Abs. 2 S. 1 ErbVO), X ist zuständig (Artt. 9 Abs. 2 S. 2; 4 ErbVO). |
Gewöhnlicher Aufenthalt des Erblassers in EU-Staat X, Recht des Drittstaates D gewählt.
Zuständigkeit von X über Art. 4 ErbVO; keine Abgabemöglichkeit durch die Mechanismen der ErbVO; X wendet das Recht von D an.
Rz. 276
Gewöhnlicher Aufenthalt des Erblassers in Drittstaat D, Recht von EU Staat Y gewählt.
Zuständigkeit von Y gegeben nach Artt. 5, 7b und c ErbVO, wenn
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eine Gerichtsstandsvereinbarung vorliegt |
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oder die ausdrückliche Anerkennung vorliegt |
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oder rügelose Einlassung erfolgt; |
ansonsten Zuständigkeit möglich nur nach Artt. 10, 11 ErbVO.
Rz. 277
Gewöhnlicher Aufenthalt des Erblasser im Drittstaat D, Recht des Drittstaates D oder eines anderen Drittstaates (Viertstaat V) gewählt.
Grundsätzlich keine Zuständigkeit durch die ErbVO, Zuständigkeit möglich über Artt. 10, 11 ErbVO.
2. Graphik zur Übersicht der Zuständigkeit bei Rechtswahl
Rz. 278
Zuständigkeit nach der ErbVO MIT Rechtswahl des Erblassers – Gewöhnlicher Aufenthalt des Erblassers in Mitgliedstaat X
Zuständigkeit nach der ErbVO MIT Rechtswahl des Erblassers – Gewöhnlicher Aufenthalt des Erblassers in einem Drittstaat