Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 420
Während der Kommissionsvorschlag z.T. insgesamt, z.T. an einigen Stellen mehr oder minder stark kritisiert wurde, stößt die ErbVO in der nun geltenden Fassung weitgehend auf breite Zustimmung. Sie wird als Meilenstein des Rechtsvereinheitlichungsprozesses in der EU gesehen, als das bislang ambitionierteste Projekt.
Rz. 421
Inzwischen werden nur noch Einzelheiten kritisiert, z.B. das zu kurze Ablaufdatum beim ENZ, die schwammige Sprache (so spricht die ErbVO an mehreren Stellen vom "Berechtigten" manchmal "vom sonstigen Berechtigten", von "Parteien" einerseits, andererseits von "Verfahrensparteien") oder die die irritierenden Formulierungen.
Abgesehen von den Problemen einer sorgfältigen Übersetzung in die jeweiligen Sprachen der Mitgliedstaaten musste die ErbVO Bezeichnungen wählen, die "kompatibel" zu den verschiedenen Rechten sind. Es kann daher nicht verwundern, dass die sprachliche Fassung der ErbVO nicht so klar ist, wie es wünschenswert wäre.
Rz. 422
Zu kritisieren bleibt aber, dass die Verordnung zu einigen sich aufdrängenden Fragen schweigt (z.B., dass der gewöhnlichen Aufenthalt nicht definiert wird), während andere Fragen über die Maßen akribisch behandelt werden (z.B. der Inhalt des ENZ).
Andererseits hat der Verordnungsgeber Neuland betreten, wie ihm auch sehr wohl bewusst war. Es fehlt dem Verordnungsgeber die sichere Hand eines historischen Gesetzgebers, der gewissermaßen bereits gewachsene Strukturen "nur" in eine entsprechende Form zu gießen hatte (wie bei den großen zivilrechtlichen Kodifikationen, z.B. des code civil oder auch des BGB). Vielmehr musste der Verordnungsgeber "vielen Herren dienen"
Rz. 423
Es erscheint daher nicht verkehrt, dass der Verordnungsgeber verschiedene Fragen nicht a priori geregelt hat, sondern der Auslegung und Anwendung durch die Praxis breiten Raum gewährt.
In diesem Zusammenhang erscheint es auch begrüßenswert, dass Art. 82 ErbVO eine Überprüfung der ErbVO vorsieht. Bis zum 18.8.2025 – also dann nach zehnjähriger Anwendung der ErbVO und entsprechender Erprobung der Regelungen in der Praxis – ist ein Bericht vorzulegen, gegebenenfalls mit Änderungsvorschlägen.
Rz. 424
Der der ErbVO zugrunde liegende Gedanke der Rechtsvereinheitlichung innerhalb der Mitgliedstaaten ist bestechend und wird zu einer erheblichen Erleichterung im Recht der internationalen Erbfälle führen. Die ErbVO führt zwar nicht zu einem EU-weit einheitlichen Erbrecht (Sachrecht) – das wäre angesichts der Unterschiede im gewachsenen Erbrecht der Mitgliedstaaten auch schwer vorstellbar und sicherlich gar nicht wünschenswert – aber doch zu einer einheitlichen Anknüpfung. Grundsätzlich wird damit in den Mitgliedstaaten jeder Erbfall nach dem gleichen Sachrecht beurteilt, sodass es für das Ergebnis keine Rolle mehr spielt, welchen Staates Gerichte mit dem Erbfall befasst sind.
Auf dieser Idee fußt auch das europäischen Nachlasszeugnis, welches unter dieser Prämisse ebenfalls immer die gleiche Aussage trifft, egal welches Gericht das Zeugnis ausgestellt hat; ebenfalls deckungsgleich unter dieser Prämisse sind jeweils der nationale Erbnachweis (in Deutschland: Erbschein) und das europäische Nachlasszeugnis.
Die ErbVO stößt im Übrigen sowohl im wissenschaftlichen Schrifttum (sowohl im In- und Ausland) als auch bei Praktikern auf breite Aufmerksamkeit.