Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 216
Art. 33 ErbVO trifft eine besondere Bestimmung für den erbenlosen Nachlass. Sofern keine natürliche Person als Erbe in Frage kommt, ordnen manche Rechte das Erbrecht des Staates an. So ist z.B. im deutschen Rechts das Erbrecht des Fiskus materiellrechtlich als echtes Erbrecht ausgestaltet (§ 1936 BGB), d.h. der Fiskus übernimmt die gleichen Rechte und Pflichten wie jeder andere Erbe. In anderen Rechtsordnungen (z.B. in Schweden) steht dem Staat dagegen ein sachenrechtliches Aneignungsrecht zu.
Rz. 217
Diese unterschiedliche Ausgestaltung der Übernahme des Nachlasses durch den Staat als "Erbrecht" einerseits, als "sachenrechtliches Aneignungsrecht" andererseits kann dazu führen, dass zwei verschiedene Staaten den Nachlass beanspruchen.
Beispiel:
Ein schwedischer Erblasser verstirbt an seinem letzten Wohnsitz in Schweden. Zum Nachlass gehört u.a. ein Grundstück in Berlin. Da keine natürlichen Personen als Erben vorhanden sind, beansprucht der schwedische Staat den Nachlass (und damit auch das Grundstück in Berlin).
Rz. 218
Nach bisheriger Rechtslage war nach Art. 25 Abs. 1 EGBGB wegen der Staatsangehörigkeit des Erblassers schwedisches Recht maßgeblich. Gem. Art. 43 EGBGB unterliegen Rechte an dem Grundstück aber dem deutschen Recht, weil sich das Grundstück in Berlin befindet.
Es fragt sich daher, ob das schwedische Aneignungsrecht über Art. 43 EGBGB (sachenrechtliche Kollisionsnorm) anzuknüpfen ist oder dem Erbrecht zuzuordnen ist und damit Art. 25 Abs. 1 EGBGB (erbrechtliche Kollisionsnorm) gilt. Nur wenn der Anspruch des schwedischen Staates erbrechtlich qualifiziert wird, erstreckt sich der Anspruch auch auf das Berliner Grundstück.
Rz. 219
Diesen Konflikt zwischen dem (sachenrechtlichen) Aneignungsrecht und dem Erbrecht des Fiskus klärt Art. 33 ErbVO zugunsten des Rechts am Ort der Belegenheit der Sache. Sieht das für die Rechtsnachfolge anwendbare Recht das Erbrecht des Fiskus vor, muss es dem Belegenheitsrecht insofern weichen, als einem Mitgliedstaat ein Aneignungsrecht an den in seinem Hoheitsgebiet belegenen Nachlassgegenständen zusteht. Der Vorrang des Aneignungsstaates steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass die Nachlassgläubiger auch auf diese Gegenstände zugreifen können.
Art. 33 ErbVO regelt nicht den "umgekehrten" Fall, nämlich die Konstellation, dass das auf die Rechtsnachfolge anwendbare Recht selbst die sachenrechtliche Aneignung durch den Fiskus vorsieht, aber sich Nachlassgegenstände in einem anderen Staat befinden, dessen Recht den Übergang auf den Staat im Erbrecht vorsieht (also das Erbrecht des Fiskus bestimmt, nicht ein sachenrechtliches Aneignungsrecht). In diesem Fall ist unklar, welcher Staat die betreffenden Gegenstände übernimmt/übernehmen darf.
Rz. 220
Mit § 32 IntErbRVG legt der deutsche Gesetzgeber die Umsetzungsnorm für das Aneignungsrecht des Bundes und der Länder vor und schafft die erforderlichen Vorschriften für das (mehrstufige) Verfahren bei inländischem Vermögen, soweit ein fremdes Recht Erbstatut ist (bei deutschem Recht als Erbstatut gilt ohnehin § 1936 BGB). Danach stellt zunächst das Nachlassgericht fest, dass nach dem – fremden – anwendbaren Erbrecht keine natürliche Person als Erbe vorhanden ist; das Land, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (im Übrigen der Bund) übt das Aneignungsrecht durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht aus (§ 32 Abs. 4 IntErbRVG).
Der deutsche Gesetzgeber schafft damit die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für ein deutsches sachenrechtliches Aneignungsrecht, welches allerdings im BGB nicht geregelt ist, eben weil der Fiskus nach deutschem Recht Erbe ist, nicht sachenrechtlich Berechtigter. Dogmatisch überzeugender wäre es gewesen, die Aneignung im materiellen Recht (und zwar im Sachenrecht des BGB) vorzusehen.
Rz. 221
Unklar ist in diesem Zusammenhang, welche Pflichten der neue § 32 Abs. 1 IntErbRVG dem Nachlassgericht auferlegt, denn einerseits wird eine Amtsermittlungspflicht des Nachlassgerichts nicht begründet (so ausdrücklich § 32 Abs. 1 letzter Hs. IntErbRVG), andererseits formuliert die Vorschrift: "Stellt das Nachlassgericht fest, dass nach dem anzuwendenden Erbrechts weder ein durch Verfügung von Todes wegen eingesetzte Erbe noch eine natürliche Person als gesetzlicher Erbe vorhanden ist, so teilt es seine Feststellung unverzüglich der für die Ausübung des Aneignungsrecht zuständigen Stelle mit". Das wirft die Frage auf, in welchen Fällen das Nachlassgericht tätig werden soll/muss, bzw. wie das Nachlassgericht überhaupt in Erfahrung bringen soll, ob eine Verfügung von Todes wegen vorliegt, wer danach Erbe ist bzw. ob gesetzliche Erbfolge gilt und ob einer der gesetzlichen Erben vorhanden ist. Dafür müsste das Nachlassgericht zunächst einmal Kenntnis vom Tode des Erblassers haben. Das wird vielfach nicht gegeben sein, etwa in den Fällen, bei denen die internationale Zuständigkeit des deutschen Nachlassgerichts nicht besteht, weil der Erblasser seinen gewöhnlichen...