Rz. 120
§ 15 Abs. 2 RVG konkretisiert den zeitlichen Abgeltungsbereich dahingehend, dass der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern kann. Für die Abrechnung der gesetzlichen Gebühren nach dem RVG ist für den Rechtsanwalt daher im Einzelfall entscheidend, in welchen Fällen dieselbe Angelegenheit vorliegt.
1. Dieselbe Angelegenheit
Rz. 121
Was unter dem Begriff derselben Angelegenheit zu verstehen ist, wird im RVG nicht legaldefiniert, obwohl der Begriff auch in den §§ 16–18 RVG verwendet wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lässt sich die Frage, ob der Rechtsanwalt in einer gebührenrechtlichen Angelegenheit oder in mehreren tätig geworden ist, nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände beantworten, wobei der Inhalt des erteilten Auftrags maßgebend ist. Der Bundesgerichtshof beschreibt den Begriff der gebührenrechtlichen Angelegenheit in seinen Entscheidungen im Weiteren wie folgt:
Zitat
"Die Angelegenheit bedeutet den Rahmen, innerhalb dessen sich die anwaltliche Tätigkeit abspielt, wobei im Allgemeinen der dem Anwalt erteilte Auftrag entscheidet."
"Weisungsgemäß erbrachte anwaltliche Leistungen betreffen in der Regel dieselbe Angelegenheit, wenn zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und sie sowohl inhaltlich als auch in der Zielsetzung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit gesprochen werden kann."
Rz. 122
Insoweit kann der Begriff der gebührenrechtlichen Angelegenheit durch die folgenden Kriterien bestimmt werden, die kumulativ vorliegen müssen:
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Der Tätigkeit des Rechtsanwalts muss ein einheitlicher Auftrag zugrunde liegen, |
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wobei sich diese bei der Verfolgung mehrerer Ansprüche im gleichen Rahmen halten und |
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zwischen den einzelnen Handlungen und/oder Gegenständen ein innerer Zusammenhang bestehen muss bzw. diese in ihrer Zielsetzung übereinstimmen müssen. |
2. Der einheitliche Auftrag
Rz. 123
Zunächst muss daher ein einheitlicher Auftrag der anwaltlichen Tätigkeit zugrunde liegen. Ein einheitlicher Auftrag liegt grundsätzlich vor, wenn der Rechtsanwalt von dem Mandanten mit der Interessenwahrnehmung für einen ganz konkreten Sachverhalt beauftragt wird, der ein einheitliches Rechtsverhältnis betrifft. Die Beurteilung der anwaltlichen Tätigkeit als einheitlicher Auftrag wird auch nicht dadurch gestört, dass der Rechtsanwalt von dem Mandanten zu verschiedenen Zeitpunkten mit mehreren Teilaufträgen beauftragt wird, solange Einigkeit darüber besteht, dass die erteilten Aufträge gemeinsam behandelt werden sollen und sie keine (sukzessive) Erweiterung des ursprünglichen Gegenstands darstellen. Erst in dem Zeitpunkt, indem der Rechtsanwalt mit einer völlig neuen Tätigkeit beauftragt wird, die mit dem ersten Auftrag nicht im Zusammenhang steht, liegt eine neue Angelegenheit vor. Ein einheitlicher Auftrag kann auch bei der Beauftragung durch mehrere Mandanten vorliegen; so formuliert der Bundesgerichtshof:
Zitat
"Ein einheitlicher Auftrag kann nämlich auch dann vorliegen, wenn der Anwalt von mehreren Mandanten beauftragt wird, wobei gegebenenfalls durch Auslegung ermittelt werden muss, ob der Anwalt für die verschiedenen Auftraggeber gemeinsam oder für jeden von ihnen gesondert tätig werden sollte. Die Annahme derselben Angelegenheit kommt insbesondere in Betracht, wenn dem Schädiger eine gleichgerichtete Verletzungshandlung vorzuwerfen ist und demgemäß die erforderlichen Abmahnungen einen identischen oder zumindest weitgehend identischen Inhalt haben."
Rz. 124
Die Beurteilung der anwaltlichen Tätigkeit endet in dem Zeitpunkt, in dem die Tätigkeit des Rechtsanwalts, mit der er beauftragt wurde, als erledigt angesehen werden kann. Die anwaltliche Tätigkeit gilt nicht als erledigt, wenn ein gerichtliches Verfahren nach längerer Aussetzung fortgeführt wird. Wird die anwaltliche Tätigkeit hingegen durch einen Vergleich beendet, kann der Rechtsanwalt die Gebühren in dem Fall erneut verlangen, wenn der Vergleich angefochten wird. Solange die anwaltliche Tätigkeit nicht erledigt ist, muss auch § 15 Abs. 5 RVG berücksichtigt werden. Wird der Rechtsanwalt, nachdem er in einer Angelegenheit tätig geworden ist, beauftragt, in derselben Angelegenheit weiter tätig zu werden, erhält er nach § 15 Abs. 5 S. 1 RVG nicht mehr an Gebühren, als er erhalten würde, wenn er von vornherein hiermit beauftragt worden wäre. Dies gilt nach § 15 Abs. 5 S. 2 RVG nicht, sofern der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt ist, dann gilt die weitere Tätigkeit als neue Angelegenheit und die im RVG enthaltenen Anrechnungen von Gebühren entfallen.