Rz. 46
Rechtswidrig ist ein Beschluss, der gegen das Gesetz oder gegen eine Vereinbarung der Wohnungseigentümer verstößt, aber nicht nichtig ist. Man kann auch sagen, dass der Beschluss "(nur) anfechtbar" ist, um die Abgrenzung zur Nichtigkeit (die keiner Anfechtung bedarf) zu verdeutlichen. Ein rechtswidriger Beschluss ist. gem. § 23 Abs. 4 S. 2 WEG gültig (d.h. wirksam), solange er nicht durch rechtskräftiges Urteil für ungültig erklärt wurde. Die Rechtswidrigkeit von Beschlüssen kann nur im Wege der Beschlussanfechtungsklage geltend gemacht werden. Auch ein rechtswidriger Beschluss ist, weil er wirksam ist, zu vollziehen (→ § 10 Rdn 260). Unterschieden werden materielle und formelle Beschlussmängel; die Unterscheidung hat aber keine rechtliche Bedeutung, sondern dient nur der Systematisierung.
Rz. 47
Ein materieller Mangel betrifft den Beschlussinhalt und liegt vor, wenn ein Beschluss gegen die Grundsätze ordnungsmäßiger Verwaltung verstößt.
Rz. 48
Gem. § 18 Abs. 2 WEG muss eine ordnungsmäßige Verwaltung zum einen die Gesetze und Vereinbarungen einhalten; ein Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen führt deshalb zur Anfechtbarkeit (im Normalfall aber nicht zur Nichtigkeit). Zum anderen muss jeder Beschluss dem "Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entsprechen" (→ § 6 Rdn 3).
Rz. 49
Ein formeller Mangel (Formfehler) liegt bei Verstößen gegen die Vorschriften über das Beschlussverfahren vor, also insbesondere dann, wenn bei der Einberufung und der Durchführung der Eigentümerversammlung sowie bei der Beschlussfeststellung Fehler gemacht wurden. Ein Formfehler macht die Beschlussfassung zwar nicht nichtig, aber (formell) rechtswidrig. Ein Formfehler führt im Falle der Anfechtung indes nicht zwangsläufig zur Ungültigerklärung, sondern muss sich auch auf das Abstimmungsergebnis ausgewirkt haben. Etwas anderes gilt nur in den Fällen schwerwiegender Eingriffe in den Kernbereich elementarer Mitgliedschaftsrechte (→ § 7 Rdn 59). Nach bislang h.M. kann sich der Anfechtungskläger auf eine Kausalitätsvermutung berufen. Es soll der Erfahrungssatz gelten, dass ein Beschluss auf einem formellen Mangel beruht. Es ist dann Sache der beklagten Gemeinschaft, diese Vermutung zu widerlegen. Daran stellt die Rspr. teilweise immer höhere Anforderungen: Die Gemeinschaft müsse darlegen und beweisen, dass der Beschluss mit Sicherheit – nicht nur mit hoher Wahrscheinlichkeit – auch ohne den Verstoß inhaltsgleich gefasst worden wäre, wobei an den Nachweis "strenge Anforderungen" zu stellen sein sollen. Diesen Anforderungen kann man praktisch niemals genügen, sodass diese Rspr. dazu führt, dass jeglicher Formfehler im Falle der Anfechtung unweigerlich zur Beschlussaufhebung führt. Das entspricht im Ergebnis weitgehend der Rspr. im "sonstigen Gesellschaftsrecht", wo sich die sog. Relevanztheorie durchgesetzt hat: "Anstelle von Kausalitätserwägungen ist nach neuerer Rechtsprechung bei der Rechtmäßigkeitskontrolle auf die Relevanz des Verfahrensfehlers für die Ausübung der Mitwirkungsrechte durch ein objektiv urteilendes Verbandsmitglied abzustellen". Weil die meisten Verfahrensfehler relevant sind, führen sie nach dieser Auffassung ohne weiteres zur Beschlussungültigerklärung.
Rz. 50
Kritik: Die Kausalitätsvermutung "in Reinkultur" kann nicht überzeugen. Jedenfalls dürfen die Anforderungen an die Widerlegung der Kausalität eines Formfehlers nicht überzogen werden. Vom Kläger ist eine Darlegung dazu zu erwarten, wie er sich ohne den Verfahrensmangel verhalten hätte und was er an dem angefochtenen Beschluss materiell beanstandet (→ § 7 Rdn 12). Dieser Auffassung neigt glücklicherweise auch der BGH zu: Der Anfechtungskläger müsse darlegen, dass sich der von ihm geltend gemachte rein formale Ladungsmangel auf das (eindeutige) Abstimmungsergebnis (19 Ja-Stimmen, keine Gegenstimmen, 2 Enthaltungen) ausgewirkt habe.
Rz. 51
Wer an einer Versammlung teilnimmt und Formfehler nicht rügt, hat nach zutr. h.M. grundsätzlich kein Anfechtungsrecht wegen dieser Formfehler. Nur von einer Mindermeinung werden diese Grundsätze (meistens im Zusammenhang mit der Nichtöffentlichkeit der Versammlung) infrage gestellt (→ § 7 Rdn 74). Entsprechendes gilt, wenn an einer Versammlung alle Miteigentümer teilnehmen (Universalversammlung): Die Anwesenheit sämtlicher Wohnungseigentümer heilt alle Einberufungsmängel, sofern die Eigentümer auf die Einhaltung der Formvorschriften verzichten. Der Verzicht kann auch konkludent erfolgen und ist insbesondere dann anzunehmen, wenn Entscheidungen getroffen werden. Das Ergebnis der Willensbildung in einer solchen Vollversammlung wird regelmäßig ein Beschluss und keine Vereinbarung sein (→ § 2 Rdn 76).