Rz. 17

Beschlüsse müssen inhaltlich von ausreichender Bestimmtheit sein (→ § 2 Rdn 53). Die Bezugnahme auf ein Dokument ist hierfür möglich und nützlich: "Es ist allgemein anerkannt, dass der Wortlaut des Beschlusses zur näheren Erläuterung inhaltlich Bezug auf Urkunden oder Schriftstücke nehmen darf, wie dies beispielsweise bei der Beschlussfassung über den Wirtschaftsplan oder die Jahresabrechnung und häufig auch bei Sanierungsbeschlüssen nach Kostenvoranschlag oder auf der Grundlage eines Gutachtens geschieht".[16] Das "Bezugsschriftstück" muss aber zweifelsfrei bezeichnet werden, am besten unter Nennung seines Datums,[17] und muss auch seinerseits inhaltlich bestimmt sein. Vielfach wird vertreten, dass die Anlagen, auf die im Beschluss Bezug genommen wird, in die Beschluss-Sammlung aufzunehmen seien;[18] das erscheint aber übertrieben.

 

Rz. 18

Beschlüsse sind der Auslegung zugänglich, wofür im Ausgangspunkt die allgemeinen Auslegungsgrundsätze des § 133 BGB gelten, wonach der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften ist. Dem Wortlaut kommt aber eine besondere Bedeutung zu, denn die Auslegung erfolgt nach den für grundbuchmäßige Erklärungen geltenden Grundsätzen, also im Prinzip nicht anders als die Auslegung der Teilungserklärung (→ § 2 Rdn 83). Grund dafür ist die Wirkung gegen die Rechtsnachfolger, weil diese den Inhalt des Beschlusses (nur) der Beschlussformulierung entnehmen können. Die Beschlüsse sind deshalb "aus sich heraus" – objektiv und normativ – auszulegen.[19] Umstände außerhalb des protokollierten Beschlusses dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind, was sich z.B. aus früheren Beschlüssen zum gleichen Thema ergeben kann.[20] Nach h.M. ist zur Auslegung auch das (übrige) Versammlungsprotokoll heranzuziehen;[21] das ist aber abzulehnen,[22] denn das nachträglich gefertigte Protokoll belegt nicht zwangsläufig den Kenntnisstand der Eigentümer in der Versammlung und unterliegt zudem leider so gut wie keiner Fehlerkontrolle (→ § 7 Rdn 162). Darüber hinaus ist es prinzipiell verfehlt, die Ordnungsmäßigkeit eines Beschlusses danach zu beurteilen, was im Protokoll steht oder gar was dem Protokoll angeheftet wird;[23] denn die Verwaltung kann ihrem Protokoll auch etwas anderes als die von den Versammlungsteilnehmern gemeinte Anlage anheften. Leider machte aber der BGH im Urteil zur Darlehensaufnahme die Ordnungsmäßigkeit des Beschlusses davon abhängig, dass die Nachteile der Kreditfinanzierung in der Versammlung erörtert wurden und dies im Protokoll der Eigentümerversammlung dokumentiert wurde. Auf die Spitze getrieben wird diese Fehlentwicklung, wenn ein Beschluss für ungültig erklärt wird, weil sich die "tragenden Erwägungen der Ermessensausübung" nicht dem Protokoll entnehmen lassen (→ § 6 Rdn 11).

 

Rz. 19

Die h.M. folgt einer "Auslegungsregel", wonach man davon ausgehen müsse, dass "die zu einer gesetzmäßigen Verwaltung verpflichteten Wohnungseigentümer im Zweifel keinen rechtswidrigen Beschluss fassen wollen".[24] Zu betonen ist, dass dies nur "im Zweifel" gelten kann, denn die Praxis zeigt, dass Wohnungseigentümer durchaus auch einmal rechtswidrige Beschlüsse fassen wollen.

 

Rz. 20

Im Rechtsstreit ist die Auslegung zunächst Sache der Tatsacheninstanz (erste Instanz, in WEG-Sachen also stets das Amtsgericht). Das Rechtsmittelgericht (Landgericht) ist nach bisheriger Auffassung an die Auslegung des Amtsgerichts gebunden, sofern diese nicht rechtsfehler- oder lückenhaft ist. Eine unbeschränkte eigene Kompetenz zur Auslegung soll nur bestehen, wenn der Beschluss eine Dauerregelung beinhaltet (z.B. eine Bestimmung zur Hausordnung).[25] Richtiger Ansicht nach kann das Rechtsmittelgericht aber alle Beschlüsse ohne Bindung an die Auslegung der ersten Instanz selbst auslegen, weil gem. § 10 Abs. 3 S. 2 WEG jeder Beschluss gegen Rechtsnachfolger wirkt und insofern "Dauercharakter" hat.[26]

[17] LG Frankfurt/M. v. 25.2.2021 – 13 S 146/19, ZMR 2021, 515: Bezugnahme auf "vorliegendes Angebot" (ohne Datum) soll nicht genügen (m.E. übertrieben).
[18] LG Frankfurt a.M. v. 12.12.2019 – 13 S 143/18, ZWE 2020, 196 Rn 23; Jahns, ZWE 2021, 112, 113.
[21] BGH v. 10.9.1998 – V ZB 11/98, ZMR 1999, 41; Staudinger/Häublein, § 24 Rn 246.
[22] Kritisch auch M. Schmid, Zur Auslegung von Wohnungseigentümerbeschlüssen, ZWE 2013, 442.
[23] LG Gera v. 10.2.2015 – 5 S 23/14, ZMR 2015, 481, Rn 37: "Die Abrechnungen hätten zudem als Anlage fest mit der Niederschrift verbunden und möglichst nach § 24 VI 2 WEG analog unterschrieben werden müssen".

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