Rz. 81
Den Wohnungseigentümern steht es frei, ihr Verhältnis untereinander – sprich: die Gemeinschaftsordnung – beliebig und ohne Inhaltsbeschränkung zu gestalten (Vertragsfreiheit); für den aufteilenden Alleineigentümer (Bauträger) gilt grundsätzlich das Gleiche. Üblich und wirksam sind in einer Gemeinschaftsordnung z.B. Regelungen betr. Kostenverteilung, Stimmrecht, Erhaltung, Begründung von Sondernutzungsrechten; ferner betr. bauliche Maßnahmen und Vollmachten für den Verwalter, wobei derartige Regelungen weitgehend von der WEG-Reform 2020 überholt sein dürften. Unüblich, aber ebenfalls wirksam sind folgende Regelungen: Erwerberhaftung für Hausgeldrückstände des Voreigentümers (→ § 8 Rdn 42); Beschränkung der Nutzung auf betreutes Wohnen (zum Betreuungsvertrag siehe nächste Randnummer); allstimmiger Eigentümerbeschluss als Voraussetzung für die Bestellung eines Verwaltungsbeirats; Pflicht der Wohnungseigentümer, im Fall der Vermietung des Wohnungseigentums die Mietverwaltung dem WEG-Verwalter zu übertragen oder dessen Zustimmung (oder diejenige der Miteigentümer) einzuholen; allgemeines Vermietungsverbot; Einstimmigkeitserfordernis für alle Beschlüsse; Heraufsetzung des Quorums für die Entziehung des Wohnungseigentums; Geldstrafen bei Zuwiderhandlungen von Wohnungseigentümern gegen bestimmte Pflichten; Pflicht einer Personenmehrheit als Eigentümerin einer Einheit zur Bestellung eines Bevollmächtigten und Ruhen des Stimmrechts bis dahin.
Rz. 82
Begrenzt wird die Vertragsfreiheit durch die allgemeinen Schranken der §§ 134, 138 und 242 BGB. Insbesondere können zwingende gesetzliche Vorschriften auch durch Vereinbarungen nicht geändert werden. Die Gestaltungsfreiheit endet auch dort, wo die Rechtsstellung der Wohnungseigentümer als Eigentümer zu stark ausgehöhlt oder in den Kernbereich elementarer Mitgliedschaftsrechte eingriffen wird. Diese Grundsätze gelten auch für eine vom Bauträger einseitig aufgestellte Gemeinschaftsordnung. Man könnte zwar meinen, dass solche den Wohnungseigentümern "aufoktroyierten" Regelungen im Hinblick auf den möglichen Missbrauch der einseitigen Gestaltungsmacht nichts anderes als allgemeine Geschäftsbedingungen des Bauträgers darstellen und deshalb eine Inhaltskontrolle analog §§ 307 ff. BGB erfolgen müsse; der BGH lässt eine Inhaltskontrolle aber nur nach dem Maßstab von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu. Im Ergebnis macht das freilich keinen wesentlichen Unterschied, denn in die Inhaltskontrolle fließen die AGB-rechtlichen Wertungen ein. Die Rechtsprechung ist mit der Annahme der Unwirksamkeit (Nichtigkeit) zurückhaltend. Unwirksam sind folgende Regelungen: Verpflichtung der Wohnungseigentümer, einen Betreuungsvertrag mit einer zeitlichen Bindung von mehr als zwei Jahren abzuschließen; Befugnis des Verwalters zum Betreten von Wohnungen ohne sachlichen Grund (→ § 10 Rdn 117) oder zur Vertretung der Wohnungseigentümer "in allen mit dem Wohnungseigentum zusammenhängenden Angelegenheiten"; Zustimmungsfiktion für die Jahresabrechnung (str.→ § 8 Rdn 9); Erschwerung des in § 24 Abs. 2 WEG vorgesehenen Minderheitenquorums (1/4 der Miteigentümer) zur Einberufung einer Eigentümerversammlung oder der zur Verwalterwahl erforderlichen Mehrheit; Ausschluss vom Stimmrecht oder von der Teilnahme an Eigentümerversammlungen bei Zahlungsrückstand; Regelung, wonach bei einer Mehrhausanlage die Beschlussfassung einer "Delegiertenversammlung" übertragen wird; Regelung, wonach Vereinbarungen auch ohne Grundbucheintragung gegen Sonderrechtsnachfolger gelten sollen; Freistellung des Bauträger-Miteigentümers von der Beitragspflicht für leer stehende Wohnungen.
Rz. 83
Für die Auslegung der im Grundbuch eingetragenen Vereinbarungen gelten die allgemeinen für Grundbucherklärungen aufgestellten Grundsätze: Maßgebend sind der Wortlaut der Eintragung und ihr Sinn, wie er sich aus unbefangener Sicht als nächstliegende Bedeutung der Eintragung ergibt; Umstände außerhalb der Eintragung dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind. Dabei ist gem. § 133 BGB der wirkliche Wille zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Es kommt aber nicht auf den (mutmaßlichen) Willen oder die Vorstellungen des aufteilenden Eigentümers an, sondern auf die verobjektivierte, also an objektiven Maßstäben orientierte Bewertung des Inhalts der Teilungserklärung. Unter Beachtung dieser Grundsätze ist im Einzelfall eine ergänzende Vertragsauslegung ebenso möglich wie eine Umdeutung von Regelungen, deren Inhalt dem Wortlaut nach nichtig wäre (→ § 1 Rdn 91). Im Rechtsstreit kann die Auslegung nicht nur durch die Tatsacheninstanz, sondern uneingeschränkt auch durch das Rechtsmittelgericht erfolgen.
Rz. 84
Praxistipp
Immer wieder sind Regelungen in Gemeinschaftsordnungen (insbesondere älteren) widersprüchlich, auslegungs...