Rz. 106
Eine Vereinbarung, die für eine Änderung der Gemeinschaftsordnung (vorbehaltlich einer Öffnungsklausel) erforderlich ist, kann grundsätzlich nur freiwillig zustande kommen. Als Vertrag beruht sie auf Privatautonomie, was mit einem Abschlusszwang nicht zu vereinbaren ist. Deshalb ist ein Miteigentümer nur ausnahmsweise verpflichtet, einer Änderung der Gemeinschaftsordnung zuzustimmen. Die Rechtsprechung aus der Zeit vor der WEG-Reform 2007 verlangte außergewöhnliche Umstände, die ein Festhalten an der Gemeinschaftsordnung als grob unbillig und damit gegen Treu und Glauben verstoßend erscheinen ließen, wobei ein strenger Maßstab angelegt wurde. Der Gesetzgeber wollte diese hohen Hürden absenken. Die Einführung eines weniger strengen Änderungsanspruchs war ein zentrales Anliegen der WEG-Reform 2007, um einer "Versteinerung" der Wohnungseigentümergemeinschaften entgegenwirken. Eine entsprechende Befürchtung bestand nicht zu Unrecht, nachdem der BGH die Möglichkeit abgeschafft hatte, eine Gemeinschaftsordnung durch bestandskräftigen Beschluss zu ändern. Gemäß dem 2007 eingeführten und unverändert geltenden § 10 Abs. 2 S. 3 WEG kann jeder Wohnungseigentümer eine vom Gesetz abweichende Vereinbarung oder die Anpassung einer Vereinbarung verlangen, soweit ein Festhalten an der gesetzlichen Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheint. Der Änderungsanspruch setzt nicht voraus, dass sich tatsächliche oder rechtliche Umstände nachträglich verändert haben, sondern kommt auch dann in Betracht, wenn Regelungen der Gemeinschaftsordnung von Anfang an verfehlt oder sonst unbillig waren (sog. Geburtsfehler) – zumindest theoretisch. Die Rechtsprechung geht hier nämlich unverändert restriktiv vor, sodass sich der Änderungsanspruch als "Papiertiger" erweist, auf den man keine großen Hoffnungen setzen sollte. So wurde bspw. ein Anspruch auf "Modernisierung" einer Gemeinschaftsordnung dergestalt, dass überholte Regelungen abgeschafft oder sinnvolle (z.B. organisatorische) Regelungen neu eingeführt werden, abgelehnt. Eine Änderung der Zweckbestimmung einer Einheit kann (ebenfalls eher theoretisch) verlangt werden, wenn sich die nach der Teilungserklärung vorgesehene Nutzung nicht mehr realisieren lässt (typischer Fall: der Sondereigentümer möchte sein Teileigentum als Wohnung nutzen können). Praktisch sind solche Änderungsklagen kaum jemals von Erfolg gekrönt. Vergleichsweise häufig erfolgreich sind Änderungsklagen hingegen im Zusammenhang mit streitigen Sondernutzungsrechten.
Rz. 107
Beispiele:
a) |
In einer Gemeinschaftsordnung sollten nach Maßgabe einer Skizze Sondernutzungsrechte für Pkw-Stellplätze begründet werden. Die Skizze ist aber derart ungenau, dass eine eindeutige Bestimmung der Sondernutzungsflächen nicht möglich ist (Notarfehler). Folge: Die Sondernutzungsrechte sind dinglich nicht entstanden. Die ungefähre Lage und der Umfang der Flächen sind aber feststellbar, zumal sie auch schon jahrelang als Stellplätze genutzt werden. Die Miteigentümer sind in dieser Situation verpflichtet, an einer Änderung der Gemeinschaftsordnung mitzuwirken, damit die Sondernutzungsrechte noch wirksam begründet werden. |
b) |
Umgekehrt kann ein Anspruch auf Zustimmung zur Aufhebung eines Sondernutzungsrechts (gegen Zahlung einer Entschädigung) bestehen, wenn die Sondernutzungsfläche zwingend benötigt wird, um einer unabwendbaren behördlichen Stellplatzauflage nachzukommen. |
c) |
Über die Nutzung des Gartens in einer 2-Parteien-Gemeinschaft besteht Streit. Zur Befriedung kann ein Eigentümer vom anderen die "Aufteilung" des Gartens in Sondernutzungsflächen verlangen. Mangels gerichtlichen Entscheidungsermessens wirft die Klage aber Schwierigkeiten auf (→ § 2 Rdn 111). |
d) |
Mit Zustimmung der übrigen Miteigentümer baute A den über seiner Wohnung befindlichen, nur von dort erreichbaren – aber im Gemeinschaftseigentum stehenden – Spitzboden zu Wohnraum aus. A kann jetzt die Einräumung eines Sondernutzungsrechts an den neu geschaffenen Räumlichkeiten beanspruchen. |
Rz. 108
Ein häufiger Fall, in dem Wohnungseigentümer über eine Anpassung der Gemeinschaftsordnung nachdenken, betrifft den (allgemeinen) Kostenverteilungsschlüssel, und zwar meistens dann, wenn sich die Kostenverteilung nach dem Verhältnis der Miteigentumsanteile richtet und dieses Verhältnis ungerecht (geworden) ist. Hier könnte man zwar auch an einen Anspruch auf Änderung der Miteigentumsanteile denken, doch ist eine solche Änderung besonders schwierig (→ § 2 Rdn 114) und letztlich nicht nötig, weil eine Änderung des allgemeinen Kostenverteilungsschlüssels praktisch ausreicht. Um die Kostenverteilung zu ändern, muss aber nicht (mehr) die Gemeinschaftsordnung geändert werden; insofern spielt der Anspruch gem. § 10 Abs. 2 S. 3 WEG auf Änderung der Gemeinschaftsordnung keine (unmittelbare) Rolle. Denn gem. § 16 Abs...