1. Bedeutung

 

Rz. 1

Der Zeitpunkt, zu dem die Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband entsteht, ist für den Rechtsverkehr von erheblicher Bedeutung. Denn bis zu diesem Zeitpunkt kann er sich mit jeglichen Ansprüchen nur an den oder die teilenden Eigentümer richten, ab diesem Zeitpunkt nur noch an die Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband. Gleichwohl war das Entstehen der Wohnungseigentümergemeinschaft bislang gesetzlich nicht geregelt, was zu Unzuträglichkeiten für den Rechtsverkehr führte.[1] So hing es gerade im Zusammenhang mit der werdenden Gemeinschaft von Umständen, die Außenstehenden nicht ersichtlich waren (etwa der willentlichen Übertragung des Besitzes vom teilenden Eigentümer auf den Erwerber)[2] ab, ob bereits eine (werdende) Wohnungseigentümergemeinschaft entstanden war. Dieser Unklarheit hat der Gesetzgeber nunmehr abgeholfen. Die Wohnungseigentümergemeinschaft entsteht jetzt gemäß § 9a Abs. 1 S. 2 WEG stets und erst mit der Anlegung der Wohnungsgrundbücher.

[1] Zutreffend etwa Riecke/Schmid/Lehmann-Richter, WEG, 5. Aufl. 2019, § 10 Rn 27.
[2] BGH, Urt. v. 11.12.2015 – V ZR 80/15, WuM 2016 = MDR 2016, 264 = ZMR 2016, 299.

2. Vorverlagerung gegenüber früherem Recht

a) Kontinuität und Diskontinuität zum früheren Recht

 

Rz. 2

Diese Anordnung in § 9a Abs. 1 S. 2 WEG spiegelt den bisherigen Rechtszustand nur für eine Aufteilung mehrerer Eigentümer nach § 3 WEG a.F. wider. Bei dieser Aufteilung war schon bislang anerkannt, dass sogleich mit der Anlegung der Wohnungsgrundbücher sowohl die Wohnungseigentumsrechte als auch die Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband entstehen.[3] Für die Aufteilung nach § 8 WEG durch den teilenden Eigentümer galt dies nicht. Hier entstanden mit der Anlegung der Wohnungsgrundbücher gemäß § 8 Abs. 2 S. 2 WEG a.F. zwar die die einzelnen Wohnungseigentumsrechte, aber noch nicht die Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband. Dieser konnte nach bislang h.M. nicht als Ein-Personen-Verband begründet werden. Folglich entstand frühestens mit Eintragung einer Auflassungsvormerkung zugunsten des Erwerbers und Übertragung des Besitzes auf ihn eine "werdende Wohnungseigentümergemeinschaft". Mit dieser Rechtspraxis bricht das neue Recht völlig. Wie § 9a Abs. 1 S. 2 letzter Hs. WEG nunmehr klarstellt, entsteht die Wohnungseigentümergemeinschaft nunmehr in jedem Falle mit der Anlegung der Wohnungsgrundbücher.[4]

[3] Riecke/Schmid/Schneider, WEG, 5. Aufl. 2019, § 3 Rn 127.
[4] BT-Drucks 19/18791, S. 41.

b) Folgeänderungen

 

Rz. 3

Als Folgeänderung konnte § 8 Abs. 2 S. 2 WEG a.F. gestrichen werden, da sich die dortige Regelung von selbst versteht.[5] Wenn selbst die Wohnungseigentümergemeinschaft als solche schon mit Anlegung der Wohnungsgrundbücher entsteht, dann muss selbstverständlich auch die Teilung ab diesem Zeitpunkt wirksam sein. Überdies wurde mit dem neuen Verweis des § 8 Abs. 2 S. 1 WEG auf § 4 Abs. 2 S. 2 WEG eine alte Unzulänglichkeit des Gesetzes beseitigt. Wie bei der Teilung nach § 3 WEG kann Wohnungseigentum auch vom teilenden Eigentümer nicht unter einer Bedingung oder Zeitbestimmung eingeräumt oder aufgehoben werden.[6]

[5] BT-Drucks 19/18791, S. 41.
[6] BT-Drucks 19/18791, S. 41.

c) "Ein-Personen-Gemeinschaft"

 

Rz. 4

Im Ergebnis wird das Entstehen der Wohnungseigentümergemeinschaft bei einer Teilung nach § 8 WEG künftig gegenüber dem früheren Recht regelmäßig vorverlagert. Sie entsteht stets mit nur einem einzigen Wohnungseigentümer. Dies wird in den Gesetzesmaterialien etwas unsauber unter dem Begriff der "Ein-Personen-Gemeinschaft" diskutiert.[7] Tatsächlich ist die Wohnungseigentümergemeinschaft unabhängig von der Zahl und Zusammensetzung der Eigentümer. Sie besteht nicht aus den Wohnungseigentümern, sondern unabhängig von ihnen. Folglich erfährt sie mit dem ersten Erwerber und seiner Eintragung (bzw. mit der Eintragung einer Auflassungsvormerkung und der Übertragung von Besitz) keine rechtliche Veränderung.

[7] Etwa BT-Drucks 19/18791, S. 43.

3. Verschiebung gegenüber früherem Recht

 

Rz. 5

Die neue Regelung des § 9a Abs. 1 S. 2 WEG kann aber gegenüber der bisherigen Praxis auch zu einer Verzögerung in der Entstehung der Wohnungseigentümergemeinschaft führen. Denn der BGH nahm an, dass das Entstehen der Wohnungseigentümergemeinschaft nicht unbedingt der Anlegung der Wohnungsgrundbücher bedürfe. Bei Absicherung der Anwartschaft durch eine Auflassungsvormerkung am ungeteilten Grundstück und Übertragung des Besitzes an der Wohnung könne schon zuvor eine werdende Wohnungseigentümergemeinschaft entstehen.[8] Diese Rechtsprechung lässt sich nach der Vorgabe des § 9a Abs. 1 S. 2 WEG nicht mehr aufrechterhalten. Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift kommt vor der Anlegung der Wohnungsgrundbücher eine Wohnungseigentümergemeinschaft nicht in Betracht.

[8] BGH v. 5.6.2008 – V ZB 85/07, ZWE 2008, 378, 380; a.A. Schneider, ZWE 2010, 449.

4. Ende der "werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft"

 

Rz. 6

Die Rechtsfigur der werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft hat somit im künftigen Recht keinen Anwendungsbereich mehr. Wird eine Auflassungsvormerkung für einen Erwerber, wie es der Regelfall ist, nach Anlegung der Wohnungsgrundbücher eingetragen, besteht bereits die "echte" Wohnungseigentümergemeinschaft, deren Mitglied der Erwerber nac...

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