Rz. 99
Die überwiegende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur gewähren den Anspruch auf Entrichtung einer Nutzungsvergütung aus § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB erst ab dem Zeitpunkt, in dem dem Anspruchsgegner (also dem in der Wohnung verbliebenen Ehegatten) eine deutliche Zahlungsaufforderung des Anspruchsinhabers (also des Ehegatten, der die Wohnung verlassen hat) zugegangen ist.
Grund für die Annahme dieser sich aus dem Wortlaut nicht ergebenden Tatbestandsvoraussetzung ist die unzutreffende Einordnung des Anspruchs aus § 1361 Abs. 3 S. 2 BGB als einen verhaltenen Anspruch, häufig unter Verkennung des Charakters der verhaltenen Ansprüche. Der verhaltene Anspruch auf Entrichtung einer Benutzungsvergütung soll nämlich erst "mit dem deutlichen Zahlungsverlangen entstehen". Ein verhaltener Anspruch entsteht aber nicht erst mit dem Gläubigerbegehren (hier dem Vergütungsverlangen), sondern ist zu diesem Zeitpunkt bereits entstanden. Verhaltene Ansprüche sind latent existierende Ansprüche, die der Aktualisierung durch einen Akt des Gläubigers – seines "Verlangens" – bedürfen. Ihr Kennzeichen ist, dass der Schuldner nicht von sich aus zu leisten hat, dies vielmehr erst auf Verlangen des Gläubigers zu tun braucht. Die Notwendigkeit ihrer Aktualisierung durch Gläubigerbegehren ist auch das charakterisierende Merkmal der Vorschriften, in denen sich das Gesetz dieser Figur bedient. Verhaltene Ansprüche sind daher latent existierende Ansprüche, die ihrerseits mit ihrer (latenten) Entstehung zu verjähren beginnen, andererseits vor ihrer Aktualisierung durch ein Gläubigerbegehren einer konkreten Bestimmung der Leistungszeit und dem Schuldnerverzug nicht zugänglich sind. Beides ist bei § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB ohne Gläubigerbegehren gegeben, da die Überlassungspflicht ab dem Zeitpunkt besteht, in dem die Voraussetzungen des § 1361 Abs. 1 S. 1 BGB vorliegen.
§ 1361b Abs. 3 S. 2 BGB begründet einen Anspruch – der kein verhaltener Anspruch ist – des zur Überlassung der Ehewohnung gem. § 1361b Abs. 1 S. 1 BGB verpflichteten Ehegatten, der weder aufgrund der Rechtsgedanken der §§ 1361 Abs. 4 S. 4, 1360b BGB und der §§ 1361 Abs. 4 S. 4, 1360a Abs. 3, 1613 BGB noch aus Gründen des Vertrauensschutzes ein deutliches Zahlungsverlangen voraussetzt. Die Nutzungsvergütung ist, wenn die Ehegatten getrennt leben, ab dem Zeitpunkt zu entrichten, indem die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB vorliegen.
Rz. 100
Das von der herrschenden Meinung geforderte deutliche Zahlungsverlangen führt zu weiteren erheblichen Unsicherheiten bei dem Vergütungsanspruch, der ohnehin aufgrund der Vielzahl der im Tatbestand enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Die herrschende Ansicht beabsichtigt auf diese Weise, den Gerichten einen möglichst "flexibel" handhabbaren Anspruch zu schaffen, ohne auf die hierdurch herbeigeführte erhebliche Rechtsunsicherheit Rücksicht zu nehmen. Dies zeigt sich in der den Zeitpunkt der eindeutigen Zahlungsaufforderung ihrerseits modifizierten Ansicht, aus Billigkeitsgründen müsse dem die Wohnung nutzenden Ehegatten nach der Zahlungsaufforderung durch den anderen eine Überlegungszeit zugebilligt werden, damit er sich klar werden könne, ob er künftig für die Wohnungsnutzung die verlangte Vergütung entrichten oder sich um eine Ersatzwohnung kümmern wolle. Dies macht es dem anspruchsberechtigten Ehegatten nahezu unmöglich, in seinem Antrag an das Gericht, den Zeitpunkt auch nur einigermaßen sicher zu bestimmen, ab dem ihm der Vergütungsanspruch zusteht.
Rz. 101
Praxistipp
Der Rechtsanwalt, der den Ehegatten, der die Ehewohnung verlassen hat, vertritt, ist zwingend gehalten, bereits im ersten Gespräch mit dem Mandanten in Erfahrung zu bringen, ob dieser bereits eine deutliche Zahlungsaufforderung dem anderen Ehegatten gegenüber geäußert hat sowie, ob diese mündlich oder schriftlich erfolgt hat und überdies, ob der Zugang einer schriftlichen Zahlungsaufforderung nachgewiesen werden kann.
Es ist dringend zu empfehlen, im Zweifel eine eindeutige Zahlungsaufforderung dem in der Ehewohnung verbliebenen Ehegatten zuzustellen, um jedenfalls nach Erteilung des Mandats diese (von der Rechtsprechung konstruierte) Anspruchsvoraussetzung zu erfüllen.
Es besteht hier in besonders hohem Maße die Gefahr der Haftung des Rechtsanwalts.
Dies zeigen die Fälle BGH FamRZ 2006, 930 ff. und OLG Frankfurt/M. FamRZ 2013, 1681 f. deutlich. Das Vorliegen des Schadens des Mandanten beurteilt sich nicht nur nicht nach dem hypothetischen Ausgang des Vorprozesses, sondern nach der Rechtslage aus Sicht des Gerichts, bei dem das Regressverfahren stattfindet. Insbesondere die Entscheidung des OLG Frankfurt/M., aber auch diejenige des BGH machen besonders deutlich, dass die Gerichte sehr strenge Anforderungen an die Rechtsanwälte stellen: Von den Rechtsanwälten werden erheblich detailliertere und umfangreichere Kenntnisse verlangt als von den Instanzgerichten. ...